Wie man sich polstert, so wohnt man

Luisa_Wammes_Beitragsbild

Als Luisa Wammes vor rund zwanzig Jahren ihren Lehrerposten an den Nagel hängt und von Tirol nach Wien kommt, ist das Tapeziererhandwerk eine Männerdomäne. Am Tag nach ihrem Umzug fängt sie an, als Näherin für einen Naturmatratzenhersteller zu arbeiten, bildet sich in Kursen weiter und beginnt schlussendlich die Lehre als Tapeziererin. Ihr Werdegang ist ein Zusammenspiel von Entschlossenheit und Dominoeffekt. Heute führt die gebürtige Tirolerin einen renommierten Handwerksbetrieb mitten im 7. Bezirk.

Dicht gedrängt hängen ein paar hundert Bügel mit Stoffmustern rings um einen massiven Holztisch, der als Motherboard fungiert. Hier werden Stoffmuster gewählt, Gespräche geführt, strategische Entscheidungen getroffen, E-Mails beantwortet, Organisatorisches abgewickelt. Am rechten Tischrand liegen Lupatschen aus Filz (Luisa-Patschen) wie Durchreisende – als würden sie auf ihren Zug warten. Es sieht nicht zufällig aus, sondern geschäftig, als wäre alles in Bewegung.
Durch einen türlosen Durchgang gelangt man links in die Werkstatt, aus der rhythmisches Hämmern klingt, und ginge man durch den Durchgang, der gegenüber der Eingangstüre liegt, stieße man auf ein Lager mit Möbelstücken, Stoffmustern und einer Vielzahl an Dingen reich an Farbe, Muster und Textur, die in einem Laien gleichwohl Erstaunen wie Faszination auslösen.
Es ist ein typisch untypischer Arbeitstag – eine Routine gibt es nicht: mal stehen Termine vor Ort bei KundInnen am Plan, mal sind Kostenvoranschläge zu schreiben, mal arbeitet jeder der beiden Angestellten an einem anderen Projekt, mal sind alle drei mit einem Großauftrag beschäftigt, bei dem jeder die Handgriffe übernimmt, die den jeweiligen Kompetenzen am meisten entsprechen. Wenn weit über hundert Sessel zu tapezieren sind, wie bei einem Auftrag für das Steirereck, stellt sich ein anderer Rhythmus in der Werkstatt ein.
Heute steht Tapezierergesellin Johanna über einen Sessel gebeugt am Werktisch und stemmt den alten Bezug ab, während Tapezierermeister Staschek den groben Stoff über ein Werkstück spannt und ihn mit exakten Stichen vernäht. Luisa Wammes berät eine Kundin, die persönlich vorbeigekommen ist, um die Stoffauswahl für ihr Projekt zu machen, später wird sie sie besuchen, um Maß an dem Möbelstück zu nehmen, das tapeziert werden soll.
Das Business rennt seit Beginn vor allem durch Mundpropaganda, Empfehlung und Vernetzung. Ursprünglich hat sich die Lehrerin nur ein Karenzjahr genommen, um das Terrain in Wien auszuloten, aber dann wurden aus zwölf Monaten zwei Jahrzehnte …

Beim Überzeihen eines neuen Überzuges

im7ten: Für das Projekt „Unsichtbares Handwerk in Wien“ wurden Sie zitiert, dass es 10 000 Arbeitsstunden braucht, bis man ein Handwerk erlernt hat.
Luisa Wammes: Es kommt natürlich auf das Talent und die Leidenschaft an, aber bis man so richtig sattelfest ist und sich über alles drübertraut, braucht es schon ein paar Jahre. Ich hatte einen sehr guten Lehrmeister, der mir auch genügend Zeit gegeben hat. Es ist wichtig, dass man von Anfang an ein gutes Niveau hält.

Was ist schon perfekt?
Handwerk hat eine eigene Sprache. Was perfekt sein muss, muss perfekt sein. Gleichzeitig gibt es seit etlichen Jahren den Hang zum Unperfekten und das muss man natürlich auch beherrschen. Für einen Handwerker, also für mich, ist es fast einfacher, etwas perfekt zu machen, als es schlampig aussehen zu lassen.

Wie hat sich der allererste Auftrag angebahnt? Wie fängt man von Null an?
Das fängt natürlich im Freundes- und Bekanntenkreis an. Am Tag nach meinem Umzug habe ich bei einem Naturmatratzenhersteller zu arbeiten begonnen, der eine Näherin gesucht hat. Nachdem ich Werken unterrichtet habe, konnte ich gut nähen. Eines Tages kam ein Kunde mit einem Fauteuil und wollte, dass ich es neu beziehe. Ich sagte, dass ich das nicht kann, aber einen Kurs machen würde – so ist das schrittweise gegangen. Ich habe einen Kurs am Wifi besucht und mir eine Lehrstelle gesucht. Viele Aufträge habe ich über einen Tapezierer bekommen, der fünf, sechs Jahre vor der Pensionierung war. Eine Freundin hat bei Viktor Steinwender im 1. Bezirk gearbeitet, dort erhielt ich einen Auftrag und so ist das langsam die Runde gegangen.

Nach der Lehrzeit haben Sie sich vor 17 Jahren selbstständig gemacht. Was war die größte Herausforderung in der Anfangszeit für Sie?
Ganz am Anfang war die größte Herausforderung, das Geschäft alleine zu machen. Es ist ja nicht nur das Handwerk, sondern auch die KundInnenbetreuung – zu den KundInnen hinfahren, Kostenvoranschläge mit Blick auf Finanzierbarkeit durch den Kunden und realistischer Kalkulation des Arbeitsaufwandes erstellen, Buchhaltung machen etc. Das Ganze so zu strukturieren, dass man noch zur handwerklichen Arbeit kommt. Sonst war jede Herausforderung gut!

Wie viel Zeit brauchen Sie mit einem Kunden, um zu spüren, was er möchte?
Das kann ganz schnell gehen und gelegentlich auch länger dauern, aber das ist sehr spannend. Es gibt viele KundInnen, die genau wissen, was sie wollen und manche, die keine Vorstellung haben. Da ist viel Fingerspitzengefühl notwendig, weil die gesamte Arbeit rund ums Wohnen sehr intim ist. Ich drücke niemandem gerne meine Meinung auf, andererseits kann man die Erfahrung natürlich gut nutzen und sagen: „In diesem Fall würde ich …“ Das funktioniert sehr gut. Die meisten KundInnen sind heute aber wegen der Recherchemöglichkeiten im Internet schon sehr informiert, bevor sie zu uns kommen.

Einblick in die WerkstattNach welchen Kriterien kaufen Sie die Stoffe ein?
Ich kaufe recht oft Stoffe, die mir persönlich gut gefallen. Wenn man Glück hat, verkauft man sie, wenn man kein Glück hat, dann freut man sich selbst daran. Es ist ein persönlicher Spaß – wie das Jagen und Sammeln. Man ist oft so fasziniert von den Stoffen, dass man sie einfach haben möchte.

Hat sich Ihr Geschmack in den letzten 17 Jahren verändert?
Der Basisgeschmack ändert sich nicht wirklich. Was sich ändert, sind die Farben: Ich mag Farben und Muster, die ich vor zehn Jahren überhaupt nicht mochte. Durch die Stoffe kommt die Inspiration. Es war immer schon mein Faible, Räumlichkeiten und Stimmungen zu verändern, einen Ethnotouch reinzubringen und verschiedene Stile zu vermischen.

Sie waren von Anfang an im 7. Bezirk, haben Sie sich das bewusst ausgesucht?
Ja, weil ich in der Apollogasse gewohnt habe und es war immer mein Wunsch, zu Fuß oder mit dem Fahrrad in die Arbeit kommen zu können, also keine weiten Wege zu haben. Mittlerweile bin ich im 15. Bezirk, aber es ist auch noch gut erreichbar.

Hat sich der 7. Bezirk in diesen Jahren stark verändert?
Es hat sich insofern für meinen Betrieb verändert, als dass viele Zulieferer aufgehört haben. Es gab eine Borten- und Quastenmacherin in der Bandgasse und einen Knopfpresser in der Hermanngasse, die ganz wichtige Zulieferer waren, die aber anderen Geschäften oder Wohnungen gewichen sind. Ich finde schon, dass sich der Siebente verändert hat. Die Westbahnstraße ist sehr lebendig geworden.

Wie gleichen Sie die Schließungen aus?
Auf internationalen Messen schließt man neue Kontakte, die Zulieferer sind dann nur vielleicht nicht mehr aus Österreich.

Verzögert das die Arbeitsabläufe?
Nicht wirklich. Wenn ich Borten in Paris bestelle, habe ich sie zwei Tage später hier. Das Angebot ist natürlich auch größer, weil die Franzosen auf dem Gebiet sowieso viel zu bieten haben.

Was war denn das außergewöhnlichste Projekt, das Sie bislang umgesetzt haben?
Da müsste ich jetzt die Mappe holen, weil mir gleich so viel durch den Kopf geht. Eines meiner ersten Projekte, das ich damals in Kooperation mit einem anderen Tapezierer gemacht habe, waren die Vorhänge im großen Saal des Wiener Rathauses. Für das Steirereck haben wir rund 120 Sessel neu tapeziert, für die Wiener Silbermanufaktur die Einlageböden fürs Silberbesteck gemacht, für die OMV eine fünf Meter lange Foyertheke mit LKW-Plane bespannt, ENZIS mit Stoff bezogen, Möbelanfertigungen für diverse Museen durchgeführt, und auch für Wein & Co, das Dorotheum und ein Kloster in der Steiermark durften wir Aufträge abwickeln.
Die Hauptkunden sind aber PrivatkundInnen, die etwas in ihren privaten Räumlichkeiten verändern wollen.

Überziehen von MöbelstückenHandarbeitBeim Polstern

Bedarf es viel Aufklärungsarbeit in einem Handwerksberuf?
Die Mehrheit ist sich des Wertes von Handarbeit bewusst. Es gibt natürlich auch KundInnen, die mit einem Fauteuil kommen, das 200 Euro gekostet hat und ich muss ihnen dann sagen, dass sie das Polstern 1.500 Euro kosten wird und die sind ganz perplex. Andererseits gibt es auch KundInnen, die bewusst ein Ikea-Möbel tapezieren lassen möchten. Der Stoff kostet dann so viel, wie das ganze Sofa bei Ikea gekostet hat, aber sie wollen es trotzdem haben. Viele KundInnen haben ein großes Bewusstsein, dass nicht mehr so viel Weggeschmissen werden soll, dass man Altes wieder aufarbeitet und das finde ich toll. Ein Ikea-Sofa neu beziehen zu lassen, finde ich schon sehr umweltbewusst.

Ist Ihnen das von Ihrer Arbeit her nicht zu schade?
Nein überhaupt nicht. Der Arbeitsablauf und die Herausforderung ist bei einem 10.000 Euro Sofa genauso wie bei einem Ikea-Sofa. Das ist nur eine Einstellungssache. Die Arbeit ist die Gleiche und soll genauso ausgeführt werden.

Wie oft wechselt bei Ihnen Zuhause alles, was man polstern kann?
Das hat natürlich auch einen finanziellen Rahmen, aber Kissen wechsle ich sicher zweimal im Jahr. Die Couch hat jetzt den vierten Bezug.

In wie vielen Jahren?
(lacht) In 15 Jahren. Hält sich in Grenzen. Aber es wird natürlich schon öfter gewechselt, als in einem anderen Haushalt, weil man aus dem Vollen schöpfen kann. Und weil ich es selber machen kann. Es ist eine selbst entworfene Couch mit losen Polstern und abnehmbaren Bezügen, die man putzen lassen oder waschen kann. Somit ist es eine reine Näharbeit. Die Vorhänge werden manchmal gewechselt und das Betthaupt ebenfalls. Es ist einfach mein Hobby.

Stichwort Zukunft: UnternehmerInnen mit gut laufenden Geschäften sind immer unweigerlich vor die Nachfolgefrage gestellt, wie gehen Sie an das Thema heran?
Es ist für mich vollkommen unvorstellbar, bis zum Tag X zu arbeiten und dann aufzuhören. Theoretisch könnte ich in zwei Jahren in Pension gehen, das werde ich aber natürlich nicht machen. Ich kann es mir wahrscheinlich in zehn Jahren auch noch nicht vorstellen, aber man wird sehen, was die Zukunft bringt. Wenn es die Gesundheit erlaubt, mache ich weiter und alles andere wird sich zum richtigen Zeitpunkt ergeben.
Es gibt ja immer wieder neue Stoffe. Es gibt immer tolle Projekte, die ins Haus schneien können und je größer die Herausforderung ist, desto besser.

 

Luisa Wammes
Kandlgasse 12, 1070 Wien
office@luisa-wammes.at

WerkzeugLupatschen aus Filz - Luisa-Patschen

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