Innovation und Kreativität, funktionaler Mehrwert und die treibende Kraft des Fortschritts: Startups sprießen aus dem Boden wie frisch gegossene Kresse. Dabei sind Unternehmergeist und technologischer Weitblick alles andere als neu. Die Familie Voigtländer zeigt, dass Ehrgeiz, Kontakte und gute Ideen bereits vor zwei Jahrhunderten bare Münze wert waren. Eine Geschichte von einem Ritter, der das Dampfmobil nach Wien holte, die Fotografie revolutionierte und einen Weltkonzern schuf.
Das erste Kapitel einer Erfolgsgeschichte
Als Johann Christoph Voigtländer im Jahr 1755 nach Wien zieht, sucht sich die Donau noch ungezähmt ihre Bahnen, Maria Theresia herrscht über das Habsburgerreich und Amerika steckt mitten im Kolonialkrieg. In diesen bewegten Zeiten siedelt sich der Tischlersohn in der Gegend des heutigen siebten Bezirks an. Er findet Arbeit in der Werkstatt eines Mechanikers und widmet seine ganze Aufmerksamkeit der Herstellung mathematischer Apparaturen. Eifer, der belohnt werden soll. Schon bald kommt keinem Geringeren als Staatskanzler Fürst Kaunitz die Nachricht vom aufstrebenden Bastler Voigtländer zu Ohren. Der Reformator und wichtige Treiber der österreichischen Aufklärung bekleidet ein Amt, das mit dem heutigen Außenminister zu vergleichen ist. Außerdem zählt er zum engen Beraterkreis Maria Theresias, welche er über das Potential des jungen Mathematikers unterrichtet. So trägt es sich zu, dass die Kaiserin ihm im Jahr 1763 ein „Commerzien-Schutzdekret“ erteilt, welches ihn dazu ermächtigt, eine eigene Werkstatt zu gründen.
Wie der junge Voigtländer das Dampfmobil nach Wien holte
Seit der Eröffnung des Betriebes sind 67 Jahre vergangen. Die Donau fließt noch immer wild, durch Überschwemmungen sterben 74 Menschen. Weit mehr gehen an der Cholera zu Grunde, die sich nach der Überflutung der Wiener Senkgruben rasend verbreitet. Österreich zelebriert die Biedermeierzeit und in Amerika wird das Eisenbahnnetz ausgebaut. Johann Christophs Enkelsohn, Peter Wilhelm Friedrich Voigtländer hat sein achtzehntes Lebensjahr vollendet und wird von seinem Vater mit einer einjährigen Studienreise für seine herausragenden schulischen Leistungen belohnt. Sein Weg führt ihn nach Deutschland, Frankreich und England. Er arbeitet in riesigen Fabrikhallen der Stahl- und Kohleindustrie. In Großbritannien lernt er Walter Hancock, den Erfinder des Dampfmobils kennen und ist begeistert. Wieder in der Heimat angekommen überzeugt er seinen Vater, den Vorläufer des Automobils nach Österreich zu holen. Der Jungunternehmer stellt das Vehikel im „Circus Gymnasticus“ im Wiener Prater aus. Der Eintritt kostet 42 Kreuzer, das entspricht dem damals üblichen Preis für einen Theaterbesuch. Die Menge tobt, noch nie zuvor hatten sie ein derartiges Gefährt, das „durch die Expansionskräfte des Wasserdampfes wie ein belebtes Geschöpf auf der Straßenfläche dahineilt“, zu Gesicht bekommen. Unter den Zusehern befindet sich auch Erzherzog Karl mit seiner Familie. Peter Friedrich lenkt das Mobil vor den Augen von 15.000 Menschen durch die Manege. Er macht ein Riesengeschäft.
Von der Daguerreotypie und Josef Maximilian Petzval
Paris 1834. Der Physiker François Arago präsentiert vor der Akademie der Wissenschaften einen technologischen Quantensprung. Er spricht von der Lichtmalerei, entwickelt von Louis Daguerre und Joseph Niépce. Es geht um Fotografie. Im Publikum befindet sich Professor Ettinghausen, Leiter des Wiener „Polytechnischen Instituts“, das vor einigen Jahren auch von Peter Friedrich Voigtländer besucht wurde. Der Gelehrte ist fasziniert von dem Verfahren, das später „Daguerreotypie“ getauft werden soll. Er erkennt allerdings auch den großen Mangel der Erfindung: Die Belichtungszeit beträgt mindestens eine Viertelstunde, somit sind Porträtaufnahmen so gut wie unmöglich. Voll Tatendrang kehrt er nach Wien zurück und kontaktiert Josef Maximilian Petzval. Der deutsch-ungarische Mathematiker lehrt an der Universität Wien und hat durch seine innovativen Berechnungsmethoden einen respektablen Platz in internationalen Akademikerkreisen erlangt. Ettinghausen berichtet ihm von Daguerres fotografischem Verfahren, nicht ohne Hintergedanken, wohlbemerkt. Petzval soll die Daguerreotypie überarbeiten, eine lichtstärkere Linse berechnen und fotografische Porträts ermöglichen. Der Mathematiker hat bereits erfolgreich optische Systeme für Fernrohre entworfen, vor eine derartige Aufgabe wurde er allerdings noch nie gestellt. Nichtsdestotrotz willigt er ein, wohlwissend, dass er Hilfe benötigen wird.
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