Es war einer dieser grauen Novembertage. Leichter Nieselregen von vorne, das verschwommene Reflektieren der Leuchtreklamen in den Pfützen während sich der schwarze Schlapphut der Finsternis bereit machte, sich auf den abendlichen Kopf zu setzen. Die Luft war kalt, die Straßen verlassen, der Mond hatte die Farbe einer Sauce Béarnaise.
Ich war auf dem Weg nach Hause, hatte auswärts geschlafen, war etwas zerknittert und müde, das euphorische Zirkulieren der Cocktails gestern Nacht in meinem Kreislauf hatte sich in sanft pochendes Kopfweh verwandelt. Im siebten Bezirk in der Westbahnstraße erregte ein hell strahlendes, noch offenes Geschäftslokal meine Aufmerksamkeit, es musste neu sein, ich hatte es vorher noch nie bemerkt. Ich starrte kurz auf eine beachtliche Anzahl an Schallplatten, die nebst einigen dazugehörigen Vintage-Abspielgeräten, im Schaufensterlicht hinter den regennassen Scheiben glänzten, dann gab etwas in mir nach und ich trat ein.
Eine vergnügliche Stunde verging im Nuh, ich plauderte mit den zwei Betreibern, stöberte in den audiophilen Schätzen, eine haptische Reminiszenz beim Durchblättern der Schallplatten-Cover, Erinnerungen an den Soundtrack des Lebens, wann ich wo und mit wem diese Musik gehört hatte, ob allein oder in der warmen lauten Umarmung eines Rockkonzertes, bunte Bilder flippten durch mein Cerebrum wie in einem Daumenkino, am Plattenteller im Shop drehten sich Sinatra und dann Kurt Cobain im Kreis und Johnny Cash sang, dass es besser gewesen wäre, auf seine Mutter zu hören.
Später, wieder zu Hause, erblühte dieses Gefühl wieder in mir und ich dachte darüber nach, wie sich das Musikhören verändert hatte. Heutzutage ist Musik im normalen Nebenbei Kontext ein reines Konsumprodukt geworden, nichts Greifbares in Zeiten von Streaming-Portalen.
Aber es gibt ihn noch den klassischen Plattenladen, in dem sich die Singles und LPs stapeln, trotz Internet und mp3, ist er für Musikliebhabende ein wichtiger Lebensraum zum Zeit Verbringen, zum kommunikativem Austausch, zur Musiksozialisation, zum Stöbern, zum Entdecken, ein Generieren fast alchemistischer Sorgfalt im haptischen Umgang mit dem schwarzen Gold.
Die gute, alte Vinylplatte erlebt gerade eine Renaissance, die Musikindustrie verzeichnet einen rasanten Anstieg, 2015 gingen so viele wie lang nicht mehr über den Ladentisch, 40% Wachstumsrate, dies schaffen nicht mal die Chinesen. Selbst für viele Mainstream-Bands gehört es mittlerweile zum guten Ton, ihre Musik neben CD und Download-Code auch wieder auf Schallplatte rauszubringen. Eine Rückbesinnung auf eine wertige Darreichungsform von Musik, die nicht nur für Conaisseurs existent ist, sondern ebenso die Anziehung von der als überlegen wahrgenommenen Audioqualität von Vinyl findet wieder vermehrt Anhänger. Das nostalgische Ritual, die Nadel auf die Platte zu heben, erhebt sich zur höchsten Form der Musikkultur, die Rückkehr zum bewussten Musikhören, die Kunst von Cover und Artwork, das Rausnehmen der Schnelllebigkeit aus unserer Zeit. Die Lieder, die zu Daten wurden, werden nicht weitergedrückt, sondern zu Ende gehört, eine neue Entdeckung der Langsamkeit, der Entschleunigung, der Gegentrend zur Digitalisierung.
Nicht zu vergessen das Aufstehen, wenn die Platte umgedreht wird.
Die Wiener Westbahnstraße weist die höchste Dichte an Plattengeschäften in Wien auf, ein audiophiles Epizentrum, das eingangs beschriebene Schallter (das gleichnamige österreichische Pop-Label aus den 1980er Jahren wurde von dem Besitzer Walter Gröbchen kürzlich reaktiviert) verkauft Klassiker der Pop-Geschichte, österreichische Musik, Jazz und Raritäten. Sein Kompagnon Albert Barbic verkauft dort Vintage-Plattenspieler und Hi-Fi-Anlagen, und komplementiert damit das 2-in-1-Konzept, denn „gute Musik braucht gute Abspielgeräte.“
Ein paar Schritte die Straße hinauf liegt das Market, spezialisiert auf elektronische Musik und ein Stück stadteinwärts das Substance, das durch ein gutsortiertes Vinyl-Sortiment besticht, aber auch Secondhand-Schätze, T-Shirts , Plattennadeln und Recordbags anbietet.
Ächzend erhebe ich mich von meiner Couch, um die Nick Cave and the bad seeds Platte Live in Berlin 1991 umzudrehen, und als sich die schwarze Scheibe zu drehen beginnt und sich die Nadel in die Rillen senkt, da rauscht sie und knarzt und knistert. Wie das Leben selbst.
Titelbild: Albert Barbic und sein Kollege Georg Rosa vom SCHALLTER.