Manchmal bedeckt ein feiner roter Film die Autos in der Westbahnstraße. Ein weitgereister Gruß aus wärmeren Gefilden. „Schon beeindruckend, dass der Saharasand bis zu uns kommt“, hört man dann von der benachbarten Sitzgruppe in der Straßenbahn. Die U-Bahn Zeitung widmet dem Phänomen eine Doppelseite und Besitzer von Autowaschanlagen reiben sich die Hände.
Was in Wien nach ein paar Tagen wieder vergessen ist, gehört südlich des marokkanischen Atlasgebirges zum Alltag. Die Erben der Nomaden, die dieses Gebiet besiedeln, wissen mit dem Sand umzugehen. In der Region stellt man Teppiche aus Agavenseide her, erzählt mir die Ethnologin Sabine Lederer. Textilien, die aus den feinen Fasern der Wüstenpflanze gewebt werden, lassen sich besser ausklopfen, der Wüstenstaub haftet nicht so stark am dichten Gewebe.
Im Kontrast dazu stehen die dicken Teppiche aus Schafwolle, mit denen die Bergbewohner ihre Häuser auskleiden, um sich vor Kälte zu schützen. Doch die Stoffe sind nicht nur Mittel zum Zweck, sie erzählen Geschichten von der Gegend, den Menschen und ihrem Leben. Talking Textiles heißt das Unternehmen von Frau Lederer und ihrer Kollegin Sonja Zettinig, ebenfalls Ethnologin. Die beiden importieren verarbeitete Stoffe aus Asien und Afrika, die schönsten marokkanischen Stücke sind momentan bei Olina Küchen in der Westbahnstraße 1a zu bewundern.
Die Lösung eines sozialen Problems
Bei Talking Textiles handelt es sich um ein Social Business, also um ein Geschäftsmodell, dessen Ziel die Lösung eines sozialen Problems ist. Klar, ein bisschen Profit fließt in das Unternehmen, um dessen Fortbestand zu sichern, aber der Großteil der Einnahmen geht an die Frauenkooperative und Familienbetriebe, die die Stoffe verarbeiten. Eigenständige Initiativen aus Ländern ohne sozialem Schirm, Bewegungen ohne Mittelsmann.
Ursprünglich kommen die beiden Ethnologinnen aus der Entwicklungszusammenarbeit im Großraum Asien, viele der Kooperativen kennen sie bereits etliche Jahre. Die Idee, Textilien zu importieren und in Österreich zu verkaufen entstand zufällig, erzählt mir Frau Lederer. Von ihren Aufenthalten im Himalaya-Gebiet brachte sie regelmäßig tibetische Teppiche mit, teils für sich, teils für Verwandte und Freunde. Erfreut über den guten Anklang ihrer Produkte im fernen Wien schlugen einige Mitglieder eines Frauenkollektivs schließlich vor, die verarbeiteten Stoffe doch einfach zu verkaufen. Der Grundstein für Talking Textiles war gelegt. Seitdem waren Frau Lederer und ihre Partnerin Frau Zettinig viel auf Reisen, denn jeder neue Produzent wird von den beiden vor Ort geprüft.
Statt dem Blumenstrauß ein Rebhuhn
Es ist nicht das erste Mal, dass Talking Textiles bei Olina Küchen ausstellt, die beiden Unternehmen kooperieren bereits seit mehreren Jahren auf diese Weise. Es ist allerdings das Debut der marokkanischen Exponate. Bunte Wandbehänge und Teppiche in allerlei Größen. Zum Färben der Stoffe verwenden die Berber Naturmaterialien wie Henna, Indigo, Safran und diverse Kräuter. Auch die Verarbeitung des Zwirns erfolgt nach uralten Bräuchen, die sich bis heute bewährt haben.
Sogar die Motive sind gleichgeblieben. Die marokkanischen Frauen legen großen Wert auf Symbolik, die geometrischen Formen auf den Textilien haben einen Hintergrund. „Die Raute ist ein wiederkehrendes Zeichen“, erklärt mir Frau Lederer. Sie versinnbildlicht das Auge des Rebhuhns, ein Tier, das in Marokko für seinen Scharfsinn und Weitblick geschätzt wird. Der Tradition nach schenkt man seiner Angebeteten ein Rebhuhn in einem Käfig, welchen die holde Maid an ihrem Haus befestigt, um das Heim vor Gefahren zu schützen. In Textilien verarbeitet hat das Symbol den selben Effekt, ist allerdings weitaus pflegeleichter.