Im Jahr 1934 lebten laut Volkszählung 176 034 Juden in Wien, das entsprach 9,1 Prozent der Gesamtbevölkerung der österreichischen Bundeshauptstadt. Sieben Jahre später waren es nur noch 9 000, knappe 0,6 Prozent. Der Nationalsozialismus erschütterte die jüdische Gemeinde Wiens zutiefst und löschte sie beinahe gänzlich aus. Doch wer waren jene Menschen, deren Schicksale von der Zerstörungswut des faschistischen Regimes verschlungen wurden? Um den Namenlosen wieder einen Namen zu geben, um Vergessenes wieder in Erinnerung zu rufen und nicht zuletzt, um der Ermordeten und Verschleppten zu gedenken, wurde der Verein „Steine der Erinnerung“ gegründet. Ziel der Organisation ist es, Unrecht sichtbar zu machen. Das geschieht durch Steine der Erinnerung, Metallplaketten, die im Gehweg vor Häusern, in denen deportierte und ermordete jüdische Bürger einst lebten, eingelassen werden. Das Projekt läuft seit 2005 und ergab sich aus persönlichen Motiven.
Wie alles begann
Elisabeth Ben David-Hindler, die ursprüngliche Initiatorin des Vereins, wusste lange Zeit nicht, dass sie aus einer jüdischen Familie stammte. Als sie als Jugendliche über ihre Herkunft erfuhr, dürfte dies ein überwältigender Bewusstseinswandel gewesen sein. Sie begann, sich mit dem Judentum zu identifizieren, beschäftigte sich mit der Religion und fühlte die Ungerechtigkeit, mit der ihre Ahnen behandelt wurden. Im April 2005 erhielt sie einen Brief von ihrem israelischen Onkel, der 1939 im Alter von 15 Jahren aus Wien geflüchtet war. „Ich möchte eine Gedenktafel am Haus meiner Eltern in der Porzellangasse 49a. Bitte kümmere dich um die nötigen Schritte.“, lautete die knappe Bitte. Frau David-Hindler willigte ein und machte sich sofort an die Arbeit, stieß allerdings schnell auf die erste Hürde. Die Hausbesitzer verweigerten die Anbringung einer Wandtafel an der Fassade des Gebäudes, also musste ein alternativer Plan her. Ihr Onkel hatte ihr von Gunter Demnigs „Stolpersteinen“ erzählt. Ein deutsches Projekt mit gleicher Mission, hier wurde die mangelnde Kooperation der Hausbesitzer allerdings geschickt umgangen. Statt Tafeln an Fassaden anzubringen, wurden Messingplatten mit den Namen und Daten der Verschleppten im Gehweg vor deren ehemaligen Wohnadressen eingelassen. Ein Konzept, das in Wien auch funktionieren könnte.
Kampf dem Vergessen und der Ungerechtigkeit
David-Hindler brachte alle nötigen Informationen ein, um ihr Projekt in die Tat umzusetzen und den Wunsch ihres Onkels zu erfüllen. Ihr Lebensgefährte, seines Zeichens gelernter Maschinenbauingenieur, erklärte sich bereit, die Plakette zu fertigen und die Bezirksvorstehung Alsergrund kümmerte sich um alle rechtlichen Schritte. Doch die Setzung des Steins für ihre Großeltern war erst der Anfang von Elisabeth Ben David-Hindlers Mission. Freunde und Verwandte schlossen sich ihr an, um das Projekt gemeinsam voranzutreiben. Über die Jahre wurden auf diese Weise unzählige Steine der Erinnerung angebracht, wodurch ein wichtiger Beitrag im Kampf gegen das Vergessen und die Gräueltaten der damaligen Zeit geleistet wurde.
Steine der Erinnerung in Neubau
Vor den Verbrechen des Nationalsozialismus war der Siebte eng verbunden mit dem Judentum. So machte der Anteil der jüdischen Bevölkerung vor 1934 14,8 Prozent aller Bewohner Neubaus aus. Wir wollen an die Opfer des Nationalsozialismus erinnern und aktiv ein Zeichen setzen. Durch intensive Recherchearbeit in Kooperation mit Herrn Thomas Kreuz, Inhaber von WauWau Pfeffermühlen, gelang es uns, eine Liste deportierter Personen, die vormals in der Westbahnstraße lebten, zusammenzustellen. Im weiteren Verlauf wurden Steine der Erinnerung im Gehweg eingelassen, um der Opfer des Holocausts im siebten Bezirk zu gedenken und ihre Geschichte vor dem Vergessen zu bewahren. Die offizielle Einweihung fand am 1. Oktober 2017 in der Westbahnstraße statt und wurde von Musik und diversen Kunstinstallationen begleitet. www.steinedererinnerung.at
Fotos: Steine der Erinnerung