„Der Siebte ist ein gutbürgerlicher Bezirk“, sagt Sicherheitsbeauftragter Seidl. Wir sitzen in seinem Büro in der Polizeiinspektion Kandlgasse. „Da gibt es schlimmere Gegenden“, fügt er hinzu und nimmt einen Schluck Wasser. 26 Jahren ist er schon bei der Polizei, 1993 wurde er in Neubau stationiert, seit Beginn dieses Jahres ist er als Sicherheitsbeauftragter für das Grätzel rund um die Kandlgasse zuständig. Bei dem Projekt „Gemeinsam sicher“ geht es um den Dialog zwischen Polizisten und Bürgern, eine Schnittstelle auf Augenhöhe. „Einerseits will man Präsenz zeigen, damit die Leute sehen, dass sich jemand um sie kümmert. Andererseits soll den Menschen die Scheu genommen werden. Manche tun sich halt einfach schwer mit der Polizei.“ Als Sicherheitsbeauftragter ist Seidl zu Fuß in den Straßen um die Kandlgasse unterwegs, er kennt Gegend und Leute. Auf seiner Route hält er immer wieder inne, spricht mit Anrainern und Unternehmern, hört sich ihre Probleme an und versucht Lösungen zu finden. Erst heute Morgen habe ihn eine ältere Dame auf der Straße angesprochen, weil ihr Fernseher nicht funktioniert hat. „Um sowas kümmert man sich eben auch“, meint er und kann ein Schmunzeln nicht unterdrücken.
Gefahrenprävention im Ernstfall
Seidl gefällt seine neue Rolle. Als geselliger Naturmensch stört ihn das viele Gehen nicht und ein bisschen Plaudern zwischendurch ist auch keine üble Sache. Neubau war von Anfang an sein Wunschbezirk, damals hauptsächlich wegen der Nähe zum Westbahnhof. Mittlerweile pendelt der Niederösterreicher zwar mit dem Auto nach Wien, kann sich aber trotzdem keinen anderen Arbeitsort vorstellen. „Ich werde meinen Dienst in Neubau ableisten, bis ich in Rente gehe.“ Seidl blickt auf ein Vierteljahrhundert Polizeiarbeit zurück, da erlebt man Einiges. Früher war er wie viele seiner jüngeren Kollegen im Streifenwagen unterwegs, wachsam, in Dauerbereitschaft. Wenn sich die Funkzentrale meldet muss man los, meistens ohne zu wissen, was einen erwartet. Zum Beispiel bei Verdacht auf Einbruch. In 95 Prozent der Fälle handle es sich um einen Fehlalarm, so Seidl. Die Katze, Freunde, denen die Wohnung überlassen wurde oder eine defekte Glühbirne, die die Bewohner zwingt von der verdächtigen Taschenlampe Gebrauch zu machen. Trotzdem müsse man immer mit den 5 Prozent rechnen. In die Enge getriebene Täter, die eventuell bewaffnet und gewaltbereit sind. Also ist man gezwungen die Wohnung mit gezogener Waffe zu betreten, auf den Boden gerichtet, betont Seidl. Er selbst musste noch nie abdrücken und ist merkbar erleichtert darüber.
Ordnungsverstöße und filmreife Szenen im siebten Bezirk
Schwere Delikte sind in Neubau eine Seltenheit. Man habe hier hauptsächlich mit den klassischen Ordnungsverstößen zu tun, meint Seidl. Wenn der Wein im Schanigarten zu schnell fließt und die angeregte Unterhaltung ins lustvolle Grölen übergeht oder der studentische Lerneifer mit einem feuchtfröhlichen Gelage zelebriert wird, das sich nicht mit den nachbarschaftlichen Ruhezeiten vereinen lässt, dann wird in der Kandlgasse zum Einsatz gerufen. „Meistens sind die Leute einsichtig, man kennt das ja von früher, manchmal wird’s eben lauter. Aber teilweise hat man das Gefühl mit Bäumen zu reden.“ Falls die Sturheit überwiegt, nächtigt der Trunkenbold eben in der Ausnüchterungszelle, besonders hartnäckige Rabauken können sich in der Gummizelle austoben. Gelegentlich kommt es dann aber doch zu filmreifen Szenen. Seidl erinnert sich an eine bestimmte Begebenheit, als er auf offener Straße Zeuge einer Bluttat wurde. Er erzählt von einer regungslosen Gestalt, am Gehweg liegend, die starren Glieder von sich gestreckt, darüber kauernd der vermeintliche Täter. Das Messer hatte er noch in der Hand. Seidl wollte schon seine Waffe ziehen, dann sah er die Kamera. Es handelte sich lediglich um Dreharbeiten. Neubau eben.
Schwere Jungs in Gewahrsam in der Kandlgasse
Trotz der entspannten Situation im Siebten landen immer wieder schwere Jungs in der Kandlgasse. Das liegt hauptsächlich daran, dass die Polizeiinspektion Teil eines Verbundes von drei Bezirken ist. Die Kandlgasse gehört zum Kriminalkommissariat und nimmt somit regelmäßig Straftäter aus der Josefstadt und vom Alsergrund in Gewahrsam. Die Verdächtigen bleiben maximal 48 Stunden in Neubau, nach der Ersteinvernahme werden sie an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet, die darüber entscheidet, ob die Beweislage für eine Untersuchungshaft ausreicht. In der Kandlgasse macht man Fotos der Verdächtigen, außerdem werden ihre Fingerabdrücke dokumentiert und mit einer europaweiten Datenbank verglichen. „Vor 26 Jahren hat man das noch manuell gemacht“, erinnert sich Seidl. „Die Kollegen in der Rossauer Kaserne haben damals ein bis zwei Monate gebraucht, um einen Fingerabdruck zu überprüfen. Heute braucht der Rechner zwei bis drei Minuten.“ Das ist übrigens auch die durchschnittliche Zeitspanne, die verstreicht, bis ein Streifenwagen am Einsatzort eintrifft.