Die Höhe, der Himmel, das scheinbar Grenzenlose fasziniert seit jeher und liefert den Zwirn, aus dem gute Geschichten gewoben sind. Oftmals handelt es sich dabei allerdings eher um Negativbeispiele, erinnert sei hier an die Tragödie des Ikarus oder den Turmbau zu Babel. Hochmut kommt vor dem Fall, doch ohne Mut zur Höhe, kein Platz an den Sternen. Der Schwerkraft trotzend erobert der Mensch die Vertikale, längst nicht mehr aus rein metaphysischen Gründen. In der chinesischen Großstadt Zhuzhou errichtet man Villen auf einem Shoppingcenter, in Wien genießt man den Höhenrausch weitaus bescheidener bei einem sorgsam selektierten Film im Kino am Dach.
Take me up to the Top of the Stairs
Während der Sommermonate gewährt die Hauptbücherei am Urban-Loritz-Platz Filmbegeisterten in Kletterlaune, ihren mächtigen Rücken zu erklimmen, um schließlich auf ihrem Haupt Platz zu nehmen. Das Popcorn hat man sich dabei redlich verdient, immerhin gilt es, 102 Stufen zu bewältigen. Die Mühe lohnt sich allerdings. Das Dach der Hauptbücherei eignet sich hervorragend, um an milden Abenden den stetigen Wandel der Wogen urbanen Lichts zu verfolgen. Dabei wird man unweigerlich an die klassische Metapher des Felsens in der Brandung erinnert. Wer vom Blick in die Ferne durstig geworden ist, kann sich im passend benannten „Café oben“ mit Erfrischungen versorgen, bevor der Film beginnt. Sieben Euro kostet das Vergnügen für Studenten, Senioren und Kinder. Der Normalbürger muss einen Euro mehr bezahlen. Zum Ticket bekommt man dafür eine Packung Sportgummi und ein herzliches Dankeschön.
Ein Gruß an Tom Cruise
Obwohl das Kino am Dach in die Grenzenlosigkeit des nächtlichen Himmels übergeht, fühlt man sich fast so, als säße man in der Geborgenheit eines wohlbekannten Wohnzimmers, ohne Decke, versteht sich. Die Illusion wird lediglich durch den Mangel an bequemen Couchen und das in regelmäßigen Abständen wiederkehrende schrille Gelächter aus den hinteren Reihen gestört. Aber auch das gehört irgendwie dazu und ist eben so eine Kinosache. Außerdem ist es nun mal nicht einfach, trübsinnig zu sein, wenn Roberto Benigni sein Wörterbuch zückt, um soziale Kontakte zu knüpfen (Down by Law). Hier oben geht es nämlich ausnahmsweise mal nicht um Tom Cruise und nukleare Sprengkörper in den Händen von Bösewichten, die ursprünglich nette Kerle waren, aber aufgrund eines tragischen Verlustes zerstörerischen Welthass entwickelten. Das Programm vom Kino am Dach zeichnet sich durch eine bunte Auswahl an Klassikern und alternativen Streifen aus und sorgt so für erfrischende Abwechslung. Im August werden die Filme ab 20:30 Uhr ausgestrahlt.
Die letzten Strahlen der Sonne
Es stehen weitaus weniger Sitzplätze zur Verfügung als bei dem Großteil der überdachten Konkurrenz, trotzdem gibt es genug Sessel, um einer beträchtlichen Schar an Besuchern zu ermöglichen, ihre Beine zu entlasten. Wer eine der bequemen Sonnenliegen in der letzten Reihe ergattern will, sollte dennoch ein bisschen früher kommen, uns ist es nicht gelungen. Das wird jedoch schnell nebensächlich, wenn man in 22 Metern Höhe die abendliche Sommerbrise genießt. Die Sonne schickt ihren letzten Gruß und taucht das Wiener Himmelszelt in ein kitschiges Rötlich-Orange. Den Anfang des Films hat sie noch mitangesehen, dann sind ihr Jack, Zack und Roberto wohl zu viel geworden.
Fotos: Daniel Klingler