Erstmals, seit Beginn der Aufzeichnungen, sind mehr Menschen beim Schießen von Selfies ums Leben gekommen als durch eine Hai-Attacke. Solche Dinge muss man heutzutage in der Zeitung lesen. Die Brisanz dieser Meldung wurde dann auch neulich sehr eindrucksvoll in der Westbahnstraße, Ecke Schottenfeldgasse, unterstrichen. Ein junges und scheinbar dem Leben zugewandtes Paar versuchte ein Selfie mit sich und einer Garnitur der Wiener Linien. Nur die Aufmerksamkeit gleich mehrerer Teilnehmer des öffentlichen Verkehrs konnte verhindern, dass dieser Vorfall in der oben erwähnten Statistik aufscheinen wird. Alles, was von dem Vorfall noch eine digitale Zeitspanne auf dem Handy bleiben wird, ist ein Kurzfilm der den Titel „Ankommen der Straßenbahn“ tragen könnte. Im Hintergrund wird noch verschwommen der Otto-Limanovsky-Hof zu sehen sein, was insofern interessant ist, als dort einmal ein Gebäude stand, das die „Wiener Lehr- und Versuchsanstalt für Photografie und Reproduktionsverfahren“ beherbergte (die heute Teil der sogenannten „Grafischen“ ist), und eben dort waren am 20. März 1896 die Brüder Lumière aus Paris zu Gast und hatten zur ersten öffentliche Filmvorführung Österreichs geladen. Die staunenden Zuschauer bekamen mehrere Kurzfilme zu sehen, die vor allem Alltagsszenen und gespielte Witze zeigten. Ganz ähnlich unseren heutigen Handy-Filmen. Übrigens trug einer der gezeigten Filme den schönen Titel: „Die Ankunft eines Zuges auf dem Bahnhof“. Es mag schon sein, dass sich die Welt dreht. Vom Fleck kommt sie gleichwohl nicht.
Philipp Mosetter (*1956) lebt und arbeitet als freier Autor und Schauspieler in Wien und Frankfurt/Main. Er verfasst monatlich eine Kolumne über den 7ten im Falter.
up* – unpublished
Philipp Mosetter
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Fotocredit: Bernhard Schramm
Weiterlesen: Februar 2016