Atma Pöschl ist Coach für Körpersensibilisierung. In ihren Seminaren und Einzelsitzungen geht es um erfüllende Berührung, Beziehung und Sexualität. Mit welchen Challenges und Chancen sie sich tagtäglich beschäftigt, haben wir im Interview erfragt.
Worum geht es in Ihrer Arbeit?
Es geht um Berührung – sie zu empfangen, zu schenken und zu genießen. Es geht um Intimität, und erfüllende Intimität hat weder mit Nacktheit noch mit Sex oder Geschlechtsverkehr zu tun, sondern mit unserer Fähigkeit, Gefühle zu teilen und zu spüren. Ich zeige mich mit meinen Gefühlen, du zeigst dich mit deinen Gefühlen – wir zeigen uns. Hier beginnt Intimität. Meine Arbeit als Coach für Körpersensibilisierung ermöglicht diesen Kontakt mit allen Gefühlen.
Wo fängt man an, wenn man lernen möchte, wie man richtig berührt?
Im Zusammenhang mit Sexualität tue ich mir mit Labels wie „richtig“ und „falsch“ schwer. Für mich wäre die Frage, ob meine Berührung für andere Menschen erfüllend ist. „Richtige“ Berührung würde ich am ehesten als Geschenk beschreiben. Sie sagt: „Ich bin für dich da. Ich bin bei dir in deiner Trauer, deiner Angst und deiner Freude. Ich habe keine Erwartungen, die du erfüllen musst, und stehe dir zur Seite, wie immer du dich fühlen magst.“ Kinder, die sich so berührt fühlen, entwickeln einen hohen Selbstwert. Sie können sich gut in andere einfühlen und haben die Fähigkeit, stabile Freundschaften und später Liebesbeziehungen aufzubauen.
Aber wir alle haben als Kinder auch schmerzhafte Erfahrungen gemacht. Dann meidet das Kind in uns oft noch immer die Berührung, nach der wir uns wirklich sehnen. Als Erwachsene suchen wir nach Ersatz und Entspannung in der Arbeit, im Essen, Sport, beziehungslosem Sex, Alkohol, Selbst- oder Fremdverletzung. Und scheitern. Wir versuchen, unsere unerfüllte Sehnsucht mit zahllosen Sexualkontakten oder dem/der nächsten (Liebes-)PartnerIn zu stillen und greifen ins Leere. Wir gieren nach Berührung, weil wir uns spüren wollen, und spüren nichts.
Wie durchbricht man diesen Kreislauf?
Wirkliche Entspannung beginnt, wenn wir die Bedeutung bloßer Berührung über die Kindheit hinaus begreifen: Unsere Sexualität entwickelt sich aus der liebevollen Zuwendung, die wir als Kinder bekommen haben. Erfüllende Sexualität ist ein Nehmen und Geben; der zweite braucht allerdings den ersten Schritt! Die Neurowissenschaft hat herausgefunden, dass es keine Rolle mehr spielt, ob wir „richtige“ Berührung als Kind bekommen haben oder erst später. Erlebt ist erlebt. So wird Berührung, die in meinen Seminaren, Paar- und Einzelsitzungen erlebt, zur starken Basis für eine erfüllende Sexualität.
„Richtige“ Berührung hat definitiv mehr mit Berührungsqualität zu tun als mit perfekter Technik. Oft glauben wir, perfekte Technik bringt uns das Heil, den ersehnten Kontakt. Aber es sind Präsenz und Achtsamkeit, die eine erfüllende Sexualität und befriedigende Beziehungen garantierten.
Sie beschreiben die Gesellschaft als körper- und sexfeindlich, können Sie das ein bisschen näher erklären?
Wir begegnen Sex an jeder Ecke, aber nicht in einem sensiblen Umgang, sondern in einer Art, die Druck macht. Die plakative Darstellung in Filmen sendet die Botschaft: Sex = Action = Leistung, was Druck erzeugt. Das macht statt Lust schlapp. Dann wirft man Viagra ein, um das Tempo halten zu können und spürt … immer noch nichts. „Die Sau rauslassen“ ist oft nur die Kehrseite einer körper- und sexfeindlichen Gesellschaft. Ich würde es so sagen: Unsere Gesellschaft treibt scheinbar sex-positive Blüten. Entspannt sind wir nicht. Befreit auch nicht.
Zur Action, die wirkliche Nähe verhindert, gehört für mich auch die Schiene: Männer kaufen Sex, Frauen leisten Sexarbeit, Prostitution, Escort, was in unsere Gesellschaft normal ist. Aber die Gesetze sind für konsumierende Männer gemacht, nicht für uns Frauen. Hier fehlt die Ehrlichkeit, das ist ein System von Macht und Ohnmacht. Eine Freundin von mir sagte mal: „Prostitution wird es solange geben, wie es den Kapitalismus und die Ehe gibt.“ Das ist ehrlich.
Ich habe mit Tantramassagen begonnen und rasch kapiert, dass viele Männer Massagen konsumieren, weil sie sich diese Berührung privat nicht holen können. Heute lehre ich Frauen und Männern zu berühren, berührbar zu werden, sexuelle Bedürfnisse zu spüren und Wünsche selbstbewusst zu äußern. Heute berühre ich primär über Kleidung. Tantramassagen biete ich nur mehr Frauen und Paaren als 4-Hand-Massage an. Ich möchte mit meinem Angebot nicht miese Ehen aufrecht erhalten oder eine stressige Arbeitssituation, wo eine Frau beispielsweise wöchentlich zu mir kommt, um ihre Lustlosigkeit und Einsamkeit auszuhalten, ohne etwas zu verändern.
Was ich im Zusammenhang mit professionellen Tantramassagen für Männer oft vermisst habe, war ein bewusster Umgang damit in der eigenen Partnerschaft: Viele Männer konsumieren Tantramassagen und die Partnerin weiß nichts davon. Und die Partnerin will es oft gar nicht wissen, weil sie nichts zu bieten hat und froh ist, „aus dem Schneider“ zu sein. Da wäre soviel mehr Potenzial drinnen!
Sind Frauen mit schuld?
Es geht nicht um Schuld, sondern um gemeinsame Verantwortung. Schuld trägt meiner Meinung nach eine Religion, die nicht nur Sexualität, sondern auch Frauen abwertet und uns allen die Kraft raubt. Das war gestern. Heute tragen wir zusammen die Verantwortung, dass es flutscht: Wenn ich als Frau nicht schön berühren kann, Probleme habe, entspannt nein zu sagen und meine Bedürfnisse zu formulieren, mich deshalb nonverbal durch Migräne entziehe oder mit einem beleidigten „Du berührst mich falsch“ trage ich Verantwortung für das Misslingen meiner Partnerschaft.
Ich finde es nicht gut, zu sagen: „Das sind die Täter, das die Opfer“, und dann wird nach Geschlecht eingeteilt, sondern: „Wir machen das.“ Echte Freiheit beginnt, mit dem ehrlichen Austausch über unsere Gefühle, Wünsche und Bedürfnisse. Es ist wichtig, dass wir nicht nur sagen: „Nein danke, das gefällt mir nicht“, sondern um die Berührung bitten können, die wir brauchen, und sie uns auch holen können. Es braucht da mehr Verspieltheit und Freiheit auf beiden Seiten.
Wie kommen die Menschen zu Ihnen?
Am öftesten über Mundpropaganda oder über das Internet. Schlagworte, die Menschen googeln, wenn sie sich eine bessere Sexualität und Beziehung wünschen, sind Körperarbeit, Tantra, BDSM (Bondage & Discipline, Dominance & Submission, Sadism & Masochism) oder Sexualtherapie. Viele Menschen, die zu mir kommen, sagen: „Ich habe genug geredet in meiner Psychotherapie. Ich will mir das jetzt mal über den Körper anschauen.“ Psychotherapie und mein Angebot ergänzen sich wunderbar. Manche Menschen ziehen eine mehr körperliche Reflexion der Psychotherapie auch vor. Es sind aber gerade Psycho- und PaartherapeutInnen, die mein Angebot oft weiterempfehlen.
Wie lange dauert es, um wieder zum Ich zu kommen? Und was sind mögliche Stolpersteine?
Wenn Menschen zu mir kommen, braucht das eine klare Entscheidung und Freude an persönlicher Entwicklung. Warum sollte unser Wachstum zu Ende sein? Wenn Menschen einen ungeliebten Anteil von sich am liebsten abschneiden wollen, muss ich sie enttäuschen: Es geht darum, ungeliebte Anteile zu umarmen. Was schon in der Kindheit nicht willkommen war, wollen wir nicht nochmal zum Schweigen bringen! Es geht ums Spüren, nicht ums Funktionieren.
Berührung fühlt sich nun mal nicht immer gut an. Das ist normal. Jede Berührung – vom Streicheln bis zum Schlagen – kann tief berühren, irritieren, verunsichern oder Angst machen. Denn unser Körper speichert negative Erinnerungen, friert sie ein, um weiterleben zu können und wird dadurch gefühllos. Bei körperlicher Nähe öffnen wir uns dann wieder ein Stück und die eingefrorenen Gefühle können wieder an die Oberfläche steigen. Passiert das in einem sicheren, bewussten Rahmen und liebevollem Kontakt mit uns selbst und einem präsenten Gegenüber, geschieht Heilung.
Tantra, BDSM – das sind heiße Themen, derer sich die Medien gerne für die Quote befleißigen.
Ich finde es prinzipiell nicht schlecht, wenn Tantra und BDSM von den Medien thematisiert werden. Auch schlechte Medienberichte können Menschen neue Türen öffnen. Was ich nicht gut finde: Unsere Gesellschaft unterscheidet zwischen heiligem hellen und abartigem dunklen Sex. Diese Unterteilung ist unnötig und destruktiv, denn heilig kommt von heil und meint ganz. Als Coach für Körpersensibilisierung gilt mein Interesse der heilsamen Arbeit mit Berührung. Ich biete in diesem Kontext auch Seminare zum Thema „BDSM/Playing by Heart“ an. BDSM birgt spannende Möglichkeiten für persönliche Entwicklung und gemeinsames Wachstum, wenn wir es zu nutzen wissen. Heilung – im Sinne von heil und ganz werden – kann beispielsweise in einer Tantramassage durch Erleben des Gegenteils dessen passieren, was wir in der Vergangenheit erfahren haben, in einer BDSM-Session durch eine homöopathische Dosis desselben. Als bewusstes Tool lädt BDSM ein, heilig/gut oder abartig/böse nicht länger abzuspalten und unser ganzes Potenzial zu leben.
Als Coach für Körpersensibilisierung interessiert mich BDSM weder als Identität noch als cooler Lifestyle oder Maske, hinter der Menschen sich verstecken. BDSM kann eine von vielen Möglichkeiten tiefer Berührung sein. Es umfasst ein breites Spektrum unterschiedlicher Sinnesreize, Körperempfindungen und Gefühle. So mancher verwechselt BDSM mit Gewalt. In Wahrheit passiert Gewalt, wenn wir unsere Gefühle nicht lieben und anderen Menschen unsere eigenen Schmerzen um die Ohren schlagen. In vielen Familien ist das der Alltag. Im Gegensatz dazu kann BDSM lustvolles Spiel mit gleich starken PartnerInnen sein, bewusster Austausch von Macht und intensiven Gefühlen.
„BDSM/Playing by Heart“ bietet die Möglichkeit, BDSM als liebevolle Begegnung und spannende Entwicklungsmöglichkeit kennenzulernen. Gelehrt wird achtsame Berührung als Basis. In angeleiteten und freien Sequenzen erforschen wir Haltungen authentischer Dominanz und Hingabe. Geben ehrliches Feedback: Was war gut? Was war nicht gut? Was habe ich dabei Neues über mich gelernt? Wir erfahren Intimität als das tief empfundene Gefühl „Ich fühle mich gesehen und angenommen, wie ich bin.“ So wird das Seminar zur spannenden Reise ins Herz von BDSM, zu unserer eigenen Kraft, Kreativität und Lebendigkeit.
Sie arbeiten oft mit Paaren. Was passiert, wenn Menschen in einer Partnerschaft unterschiedliche Nähebedürfnisse haben?
Bedürfnisse werden nicht immer erfüllt. Die relevante Frage ist, ob mich das als PartnerIn bis zum Wahnsinn triggert, oder ob ich das im Moment so stehen lassen kann. Wenn es nicht so ist, muss ich mir meine eigene Geschichte und möglicherweise Kindheit anschauen, statt andere für meine Trauer, Angst oder Wut verantwortlich zu machen. Natürlich sollten sich beide ehrlich eingestehen, ob ihre Grenzen starr oder lebendig sind. Eine lebendige Grenze kann ich öffnen oder schließen, je nach aktuellem Bedürfnis. Habe ich starre Mauern, dringst du nicht zu mir vor. Starre Mauern entstehen, wenn unsere Grenzen als Kind nicht respektiert wurden. Haben wir nicht einmal diese Aufmerksamkeit bekommen, sind wir möglicherweise grenzenlos. Aber erfüllende Partnerschaft braucht Grenzen, zwei Menschen mit lebendigen Grenzen, die einander auf Augenhöhe begegnen. Wenn ich mit Paaren zu ihrer aktuellen Beziehungsdynamik arbeite, nutzen wir Seile, um Grenzen sichtbar und spürbar zu machen. Das kann neue Klarheit schaffen.
Wer kommt nun zu Ihnen?
Zu mir kommen Menschen, die sich mehr Tiefe wünschen in ihrer Sexualität und auch im Alltag. In meine Seminare kommen Frauen und Männer, Transmänner und Transfrauen, lesbische Frauen und Paare, egal ob hetero- oder homosexuell. Mein Institut ist nicht barrierefrei, aber manchmal kommen auch Menschen mit Behinderungen, was mich freut. Da kommen Menschen, die über ihren Sex denken: „War das alles? Da muss es mehr geben.“ Menschen, die viel Sex haben, aber Nähe vermissen. Menschen, die noch nie Sex hatten und das jetzt ändern wollen. Paare, die ihre Liebe mit einer 4-Hand-Massage oder einem Seminar vertiefen möchten. In der Regel begleite ich Menschen über einen längeren Zeitraum, das ermöglicht tiefgreifende Veränderungen.
In Zürich massierte ich 2009 ein Jahr lang im Tantramassagestudio Dakini hauptsächlich Männer. Im Sommer 2009 hatte ich einen 2-seitigen Artikel in der größten österreichischen Frauenzeitschrift „Woman“. Es ging darin um meine Arbeit mit Frauen. Damit war ich in Wien ausgebucht. Menschen reisen heute aus ganz Österreich und aus dem Ausland an. Einzelsitzungen buchen etwas mehr Frauen als Männer. Das finde ich besonders schön, weil es für Frauen in unserer Gesellschaft weniger Angebote im Kontext sexueller Entwicklung gibt: Für Frauen ist es weniger selbstverständlich, sich im Bereich der Sexualität Gutes zu tun und so zu wachsen. Frauen brauchen mehr Vertrauen. Es freut mich, wenn mir das entgegengebracht wird.
Einzelsitzungen biete ich seit 2010 nur mehr in Wien an. Seminare halte ich auch in Berlin, Freiburg und Kopenhagen. Menschen, die in meine Seminare kommen, suchen kein Tantra mit Räucherstäbchen, Seidentüchern und Eso. Sie wollen keine Ideologie, die die einzig richtige Wahrheit predigt. Sie mögen meine Klarheit und Herzlichkeit. Meine Spiritualität betrachte ich als meine Privatangelegenheit, das binde ich niemandem auf die Nase. Das verkörpere ich eher nonverbal. Die Menschen schätzen meine Fähigkeit, Unterschiede harmonisch zu vereinen, denn Vielfalt ist für mich Reichtum.
Ihre Arbeit ist sehr gefragt und erfolgreich, weshalb Sie stark auf die Ausbildung von Profis und MultiplikatorInnen setzen.
In Wien biete ich ab Herbst 2018 eine Ausbildung, in meinem Stil zu arbeiten, an. Ich bin oft darum gebeten worden, jetzt ist es Zeit. ATMA©-Gefühls- und Körperarbeit befasst sich mit positiver Wutkraft, einem Nachnähren durch Berührung und allen Gefühlen, die eine lebendige Sexualität braucht.
Meine Ausbildung richtet sich an Profis, die mit den Themen Lust auf und Angst vor Berührung arbeiten. Das können PsychotherapeutInnen sein, Energie- oder Körperarbeitsleute, MasseurInnen oder PflegehelferInnen, aber auch Interessierte, die entsprechende Vorerfahrung mitbringen.
Was haben Sie für sich persönlich aus Ihrer Arbeit gelernt?
Ich durfte erfahren, dass ich Erfolg habe, weil ich mich nicht verstecke, weil ich tue, was ich gut kann, auch wenn es keine Vorbilder gibt, und weil ich mich reflektiere. Ich nehme seit vielen Jahren Supervision in Anspruch. Es ist wichtig zu reflektieren, warum wir tun, was wir tun. Auch in meinem Beruf ist das wichtig.
Institut ATMA
Zieglergasse 54/10
1070 Wien
www.institut-atma.at
Titelbild: Carlos R