Wir reisen ins Jahr 1873: Wien, Hauptstadt der Donaumonarchie und kultureller wie auch wirtschaftlicher Blickpunkt im Jahr der Weltausstellung. In genau jenem Jahr gründet Emil Pfeiffer in der Neubaugasse 33 seine Puppen- und Spielwaren-Fabrik. Das Haus ist zu dem Zeitpunkt ein einstöckiger, niedriger Bau. Im Innenhof liegt Kopfsteinpflaster, einfache Holzleitern führen vom Hof in den Dachboden.
Ein Betrieb, der sich in den nächsten fünfzig Jahren zu einer internationalen Größe entwickeln wird, hat hier seine Anfänge. Hergestellt werden neben Puppen auch Puppenperücken, Zöpfe und Putzwaren für Damen sowie kleine Figuren für Miniatur-Eisenbahn-Szenerien, die Ende des 19. Jahrhunderts ein populäres Spielzeug sind. Bahnpersonal und typische Fahrgäste in liebevollen und bunten Bemalungen, die oftmals von den StudentInnen der städtischen Kunstakademien durchgeführt werden, sind Markenzeichen der Pfeiffer-Figuren. Besonders intensiv ist die Produktion von Soldatenfiguren, da dem Kriegsspiel in jener Zeit eine große Bedeutung zukommt.
Abenteuerlich liest sich die Zusammensetzung der Figuren „aus einer Kompositionsmasse aus Sand, Müllereiabfällen und Kastanienmehl (…) die in ausrangierten Bäckermaschinen zusammengerührt wurde.“ (BR) Die Masse wird mit einem Stabilisierungsdraht in Metallformen gedrückt und anschließend langsam im Trockenofen getrocknet. Es sind gerade diese kleinen Figuren, die sogar in die USA exportiert werden, die Pfeiffer zu einem der größten Spielzeughersteller im deutschsprachigen Raum machen. Das Portfolio der Firma soll vor dem 1. Weltkrieg bereits rund 1.300 Artikel umfasst haben – heute werden sie unter Sammlern zu teilweise exorbitanten Preisen gehandelt.
Ein Originalkatalog, der auf einem Versteigerungsportal um 400 Euro angeboten wird, zeigt die stolzen Fabrikate des Hauses. „HUBSY“ – die „unzerbrechliche Stoffpuppe mit unzerbrechlichen Schlafaugen“, aber auch Stehbabys und Gelenkpuppen faszinieren damals Jung und Alt. Ein Kopf aus Zelluloid mit Schlafaugen und Wimpern, eine Echthaarperücke, liebevoll genähte Kleider, Schnürschühchen, weiße Kniestrümpfe und füllige rote Bäckchen kennzeichnen die Puppen. Das Geschäft scheint für den Wiener Fabrikanten und seine Nachfolger – Adolf und Hubert Pfeiffer – zu florieren, bis es Mitte der 1920er-Jahre still um das Unternehmen wird.
…und dann stoße ich auf ein interessantes Dokument, datiert: 6. Mai 1949: Ein Schreiben der Emil Pfeiffer Nachf. Spielwarenfabrik an die Amerikanische Militärregierung aus dem hervorgeht, dass die Inhaber der Firma Emil Pfeiffer – namentlich: Adolf und Hubert Pfeiffer – Anfang 1925 an Otto Hausser, seines Zeichens Spielwarenfabrikant aus Württemberg, herantraten, um ihm die Massespielwaren-Fabrikation samt Fabriksgebäude und Wohnhaus in der Neubaugasse 33 bzw. Westbahnstraße 1 zum Kauf anzubieten. Otto Haussers Firma ist zu dem Zeitpunkt bereits eine fixe Größe in der Herstellung von Elastolin-Figuren. „Die Firma Emil Pfeiffer stand vorm Konkurs und beabsichtigte, sich durch den Verkauf der Massespielwarenerzeugung zu sanieren, um die Puppenfabrikation weiterführen zu können.“ (fold 3) Otto Hausser ergriff die sich ihm bietende Gelegenheit, das Wiener Konkurrenzunternehmen seiner eigenen Firma zu übernehmen und führte die Firma unter Emil Pfeiffer Nachf. in der Neubaugasse 33 weiter.
Der Verwirrung nicht gerade abträglich, blieb die Puppenerzeugung von A. & H. Pfeiffer unter dem Firmennamen Emil Pfeiffer Söhne in der Westbahnstraße 1 (unmittelbar neben der Neubaugasse Nr. 33) bestehen. Der Abbruch des Hauses nach dem 2. Weltkrieg bedeutete auch das Ende des Geschäfts.
Heute steht in der Westbahnstraße 1 ein in den Jahren 1958-1960 errichteter Gemeindebau, dessen Hausmauer ein Terrakotta-Relief von Gertrude Diener-Hillinger ziert: „Spielmann mit Kindern“.
P.S.: (ODER: Was weiter geschah) Das 1922 erteilte Patent für die sogenannten Tipple-Topple-Figuren aus dem Hause Pfeiffer wurde mit dem Verkauf eines Teils der Firma im Jahr 1925 Eigentum der Firma Hausser. In den Nachkriegsjahren des zweiten Weltkrieges entstanden besonders viele Tierfiguren, aber auch die Kult gewordene Literatur von Karl May regte die Entstehung von Cowboy- und Indianerfiguren an, die ein beliebtes Spielthema waren.
Im Jahr 1969 wurde die Produktion der traditionelle Massefiguren (mittlerweile an einem Standort in Deutschland) eingestellt, da leichter zu verarbeitende und robustere Kunststofffiguren die alte Methode ablösten. 1983 musste auch die Firma Hausser Konkurs anmelden – steigende Rohstoffpreise, Konkurrenzprodukte wie beispielsweise Playmobil-Figuren und nicht zuletzt veränderte Spielgewohnheiten, weg von martialischem Kriegsspielzeug, brachten das Unternehmen in finanzielle Bedrängnis.
Auf meiner Suche nach Bildmaterial nehme ich Kontakt mit einem privaten willhaben-Verkäufer auf und gelange durch Zufall an Mag. Dr. Helmuth Oehler, Experte für Kunstgeschichte, Geschichte und Volkskunde, der im Nachlass seiner Großmutter auf einige gut erhaltene, nahezu unbespielte Tipple-Topple-Figuren stößt. Mit seinem Input macht er etwas, das ich im Zuge der Recherche theoretisch kennengelernt habe, greifbarer, denn er klärt mich auf, dass die bleihaltigen Farben in Kombination mit dem feuchtigkeits- und temperaturempfindlichen Figurenmaterial ganz spezifische Risse und Altersspuren entstehen lassen, was die Frage nach der Belastbarkeit der Figuren, die einst ein weitverbreitetes Kinderspielzeug waren, aufwirft.
Der Kunsthistoriker nennt die Massefiguren „bemerkenswerte Artefakte des Knabenspiels in Österreich“ aus einer Zeit, in der Kinder noch Sprüche wie „ein Indianer kennt keinen Schmerz“ zu hören bekamen und die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen weißen Siedlern und indigenen Völkern als glorifiziertes Wildwest-Abenteuer dargestellt wurden. Wer sich eines dieser zeittypischen Dokumente nachhause holen möchte, muss sich an einen Sammler wenden, da es sich mittlerweile um rar gewordene Stücke handelt. Die in diesem Beitrag gezeigten Cowboy- und Indianerfiguren bietet Helmuth Oehler neben weiteren Figuren auf willhaben an.
© Fotos:
Tipple-Topple-Figuren:
Titelbild: Cowboy mit Lasso auf galoppierendem Pferd | © Dr. Helmuth Oehler, Innsbruck
Foto 1: Indianer mit Tomahawk und Schild | © Dr. Helmuth Oehler, Innsbruck
Foto 3: Lasso schwingender Cowboy | © Dr. Helmuth Oehler, Innsbruck
Foto 4: Indianer auf galoppierendem Pferd | © Dr. Helmuth Oehler, Innsbruck
Foto 2: Terrakotta-Relief: Veronika Fischer