Ein Streifzug durch die Seidengasse

alte Konskriptionsnummer

Zwischen Neubaugürtel und Hermanngasse verläuft die Seidengasse parallel zur Westbahnstraße und erzählt mit ihren Gebäuden so manch spannende Geschichte.

Zunächst begutachten wir aber ihren Anfang, denn die Seidengasse beginnt dort, wo die kurze Ahornergasse aufhört: an der Kreuzung Hermanngasse/Jenny-Steiner-Weg. Letzterer ist einer jener Orte im 7. Bezirk, für den eine Frau namensgebend war. Mehr dazu in Kunstmäzenin, Unternehmerin, Künstlerin, Verfolgte – Namensgebende Frauen am Neubau.

Von hier aus ist die Bandgasse nur einen Steinwurf entfernt und schlendert man die Seidengasse weiter entlang, passiert man nicht nur das Literaturhaus an der linken und das Haus mit der markanten Plastik von Karl Stürmer an der rechten Straßenseite, sondern kann auch unterschiedliche Baustile und Portale bestaunen.

Jenny-Steiner-Weg, auf den ersten Blick eine ganz gewöhnliche Kreuzung, aber dort wo die Seidengasse beginnt, treffen vier Straßennamen aufeinander: Hermanngasse und Jenny-Steiner-Weg treffen auf Ahornergasse und Seidengasse

Die Benennung der Seidengasse

Der Name Seidengasse fasst wie kaum eine andere Bezeichnung den Charakter der Gegend zusammen: Die hier einst angesiedelten Seidenmanufakturen waren prägend für die Entwicklung des 7. Bezirks und wenngleich der Höhepunkt der Entwicklung zum Zeitpunkt der Benennung der Seidengasse im Jahr 1862 bereits überschritten war, wurde der neue und bis heute gültige Name der Bedeutung der Gasse doch weitaus gerechter als die vorangehenden Bezeichnungen.

Bevor die Seidengasse ihren heutigen Namen trug, war sie ab 1726 als Fuhrmannsgasse und ein Teil bis 1810 als Schildkrotgasse bekannt. Die Umbenennung in Seidengasse erfolgte ein Jahr nach der Eingemeindung der Neubauer Vorstädte nach Wien im Jahr 1861.

Dass sich viele Seidenmanufakturen hier ansiedelten, ist darauf zurückzuführen, dass Kaiser Maria Theresias Sohn, Joseph II., Einwanderer aus Süddeutschland und Görz nach Wien bzw. in die umliegende Vorstädte berief, um Seide, Samt und zuliefernde Erzeugnisse wie Bänder und Posamenten herzustellen. Vom Beruf des Bandlkramers leitet sich auch der Name Bandgasse ab – hier können Sie mehr dazu nachlesen. Auch im Beitrag Wer zum Kuckuck ist Franz Stark? haben wir uns mit der TextiliIndustrie am Neubau befasst und in Karl Peters Söhne – 284 Jahre Posamentrie-Erfahrung mit dem Inhaber eines Betriebes gesprochen, der seit acht Generationen in der Posamentenfabrikation arbeitet. Wer sie sucht, dem offenbaren sich die Spuren des einst so florierenden Geschäfts mit feinen Stoffen am Neubau auch heute noch.

Felix Czeike beschreibt die Seidenfabriken im 5. Band seines historischen Wien-Lexikons als dominierenden Produktionszweig im Wien des ausgehenden 18. Jahrhunderts: Hochqualifizierte Arbeitskräfte, die für niedrige Löhne arbeiteten, verknüpft mit einer für den Handel günstigen Verkehrsanbindung ließen die Seidenfabrikation so anwachsen, dass die Vorstädte Neubau und Schottenfeld im Volksmund mit dem Namen „Brillantengrund“ bedacht wurden. Um 1800 fand jeder fünfte Wiener Beschäftigte Arbeit in der Seidenverarbeitung. Der Höhepunkt soll 1813 erreicht worden sein, als rund 600 Fabrikanten und 235 Meister hier ihrer Arbeit in der Seidenproduktion nachgingen.

„Die Napoleon. Kriege u. der Boykott engl. Waren („Kontinentalsperre“) trugen wesentl. dazu bei, daß die Wr. Manufakturen eine bes. Blütezeit erlebten. […] Bis in die 30er Jahre hielt der Aufschwung an, dann setzte (verursacht durch die Dampfmaschine u. den Umstand, daß W. als Produktionsstandort zu teuer wurde) eine Abwanderung der Seidenindustrie aus W. ein.“

Quelle: Czeike, Felix: Historisches Lexikon Wien. Band 5: R-Z. Wien. Kremayr & Scheriau. 1992 – 1997. S. 194
online abrufbar: Wienbibliothek

Über die einstige Goldgrube „Seidenfabrikation“ erzählt in satirischer Manier auch das Lied D’ Hausherrnsöhnl’n von Wilhelm Wiesberg (Text) und Johann Sioly (Musik), das auf den Zeitraum 1880 datiert wird. Der Wiener Schriftsteller und Volkssänger war selbst mit der Tochter eines Seidenfabrikanten verheiratet (vgl. Wien Geschichte Wiki). Eine Gedenktafel in der Burggasse 94 erinnert an Wilhelm Wiesberg.

Eine andere Gedenktafel im Siebenten weist übrigens auf den Schriftsteller Emil Ertl hin. Er wurde am 11. März 1860 in der Zieglergasse 33 geboren – wo auch die Gedenktafel angebracht ist – und lebte im Laufe seines Lebens in der Seidengasse 14.

Seidengasse 14. berühmte Bewohner des 7. Bezirks
Seidengasse 14, hier wohnte der Schriftsteller Emil Ertl

Historische Gebäude | Die Seidengasse einst und jetzt

Die Seidengasse trumpft mit schönen Türschildern, Fassaden und Hauseingängen auf.

Die alte Konskriptionsnummer der heutigen Seidengasse 28 erinnert an die frühere Häusernummerierung.

Doch auch der Blick nach oben lohnt sich, um die architektonische Vielfalt der Seidengasse zu erforschen.

Seidengasse 25: von Architekt Carl Stephann entworfen und 1912 erbaut, zählt es zu den schönsten Jugendstilhäusern Wiens, sehenswerte Fotoaufnahmen aus dem Hausinneren finden Sie auf der Website JUGENDSTILWIEN.
Ein wunderschöner Winzling in Zartrosa: Seidengasse 19.
Das Dachgeschoßfenster des Hauses Seidengasse 33-35 verspricht einen weiten Blick. Im Innenhof des Hauses entstand 1908 ein Fabriksanbau, den der Architekt Ernst Epstein realisierte. Der Architekt jüdischer Abstammung entwarf (neben einer Vielzahl an Bauten wienweit) zudem auch die Häuser in der Seidengasse 14 und 30, der Schottenfeldgasse 46, Zieglergasse 63, Kandlgasse 23, Neustiftgasse 104, Kirchberggasse 33-35, Neubaugasse 61, Hermanngasse 8 und in der Westbahnstraße 33 (wo Albert Pattermann seine Lederwarenfertigung hatte – im7ten hat berichtet). Kurz nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich nahm sich Ernst Epstein das Leben.
Schon gesehen? Der Hauseingang in der Seidengasse 30 ist bezaubernd.
Seidengasse 31
Seidengasse 29: Zwischen 1898 und 1917 gehörte das Haus dem Anwalt und Politiker Robert Guido von Pattai, der 1885-1911 als antisemitisch-christlichsozialer Abgeordneter den Bezirk Mariahilf (wo er 30 Jahre lang wohnte) im Reichsrat vertrat.
Das Haus in der Seidengasse 20 mit seinen markanten Plastiken von Jung Ruß & Co sowie Karl Stürmer wurde 1907 nach Plänen von Hans Dworak errichtet.
Seidengasse 20
Seidengasse | Ecke Schottenfeldgasse
Seit 1991 hat das Literaturhaus Wien in der Seidengasse 13 seinen Sitz. Hier befand sich früher das Studio der Sendergruppe Rot-Weiß-Rot – einem Radiosender unter amerikanischer Besatzungsaufsicht. Am 27. Juli 1955 beendete der Sender sein Programm und wurde nach dem Abzug der Besatzungstruppen vom Österreichischen Rundfunk aufgelassen. vgl: Wikipedia: Rot-Weiß-Rot (Sender)

An das Eingangstor zur Seidengasse 13 grenzt das Gebäude, das die Nummern 3-11 umfasst. Der Druckerei- und Verlagskomplex wurde 1892 erbaut und ist stiller Zeitzeuge:

„1938-1945 wurde hier die Wiener Ausgabe des nationalsozialistischen „Völkischen Beobachters“ gedruckt; in der Nacht zum 23. April 1945 wurde erstmals die Tageszeitung „Neues Österreich“ herausgegeben; ab 27. August 1945 wurde hier die Tageszeitung „Wiener Kurier“ (sub 1) gedruckt.“

Quelle: Wien Geschichte Wiki: Seidengasse. Letzte Bearbeitung: 28.08.2018, zuletzt aufgerufen: 18.03.2019

Zum Schluss gibt’s ganz viel Lokalkolorit

Von den NeubauerInnen kann man was lernen: Platzsparend Fahrradparken am Neubau.

Der Artikel wurde am 22.03.2019 veröffentlicht und aktualisiert.

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