Vom Haus zur güldenen Schlange über den St.-Ulrichs-Platz zum Augustinplatz – ein Spaziergang am Neubau auf den wahren und fiktiven Spuren der Bezirksgeschichte.
Die beiden Türkenbelagerungen Wiens sind Volksschullehrstoff, aber Hand aufs Herz: An wie viele Details könnt ihr euch noch erinnern? Man merkt sich vor allem die anschaulich verpackten, als Geschichten getarnten Infos – als Eselsbrücken sozusagen. Und von einem ganz besonderen Esel, dem lieben Augustin, und der Brücke, die er zum 7. Bezirk schlägt, erzähle ich euch heute … unter anderem.
Am Ende von Teil 1 dieses Spazierganges stehen wir – zumindest gedanklich – in der Burggasse 14-16, wo vor etwa 200 Jahren das „Haus zur güldenen Schlange“ gestanden haben muss.
Von dort flanieren wir stadtauswärts bis zum St.-Ulrichs-Platz, gehen nach der Pfarrkirche St. Ulrich/Maria Trost rechts den Hügel hinunter, um auf der anderen Seite, in der Neustiftgasse, wieder herauszukommen.
Zu Ihrer Linken erspähen sie jetzt vermutlich schon den Augustinplatz, auf dem ein Brunnen steht, der Wiens bekanntestem Bänkelsänger und Sackpfeifer gewidmet ist: Markus Augustin, besser bekannt als „der liebe Augustin“. Die Benennung des Platzes geht im Übrigen nicht alleine auf selbigen zurück, sondern auch auf die österreichische Sängerin und Schauspielerin Liane Augustin.
Ein Platz mit Geschichte
Genau hier – Kellermanngasse/Ecke Neustiftgasse – befand sich im 15. Jahrhundert ein Tandlermarkt, auf dem vorwiegend Stroh verkauft wurde, wodurch er den Bewohnern der Vorstadt auch als „Strohplatzl“ bekannt war.
Im 17. Jahrhundert hob man in nächster Nähe eine Pestgrube aus – genau jene, in die der Bänkelsänger Augustin 1679 versehentlich geworfen wurde. Der Musikus hatte sich am Vorabend so hoffnungslos betrunken, dass er nicht merkte wie er nachts – für von der Pest dahingerafft gehalten – auf einen Pferdewagen geladen, in die Vorstadt transportiert und in die Pestgrube befördert wurde. Als er seinen Rausch ausgeschlafen hatte, rief er so lange um Hilfe, bis die verblüfften Retter ihn aus der Grube zogen. Von der Pest blieb er verschont, erlebte sogar die zweite Türkenbelagerung (1. Eselsbrücke: zeitliche Einordnung) mit und starb erst 1685. Bis heute steht er symbolisch dafür, dass mit Humor alles zu überstehen ist.
Der Augustinbrunnen wurde 1908 enthüllt. Damals zierte eine bronzene Figur den Brunnen, die jedoch im Zweiten Weltkrieg eingeschmolzen wurde. Kurz nach dem die Augustinfigur verschwunden war, soll auf dem Sockel zu lesen gewesen sein: „Der schwarzen Pest bin ich entronnen, die braune hat mich mitgenommen“. 1952 wurde die heutige Brunnenstatue aus Sandstein installiert. Wenngleich der Platz bei den Bezirksbewohnern schon lange den Beinamen Augustinplatz trug, heißt er erst seit nicht einmal 10 Jahren offiziell so.
Der türkische Reiter die Mär von der Zeltburg
Der Platz hat aber noch eine ganz andere Bedeutung. Man ist verleitet sie zu übersehen, aber wer genau hinschaut, bemerkt eine kleine, vergoldete Steinskulptur die auf der rechten Seite erhöht an einer Hausmauer angebracht ist: Ein türkischer Reiter auf einem sich bäumenden Pferd – geschmückt mit Turban und in Pluderhosen, seinen Krummsäbel über dem Haupt schwingend. Optisch erinnert die Statue an die ebenfalls türkische Reiterfigur am Heidenschuss in der Inneren Stadt (2. Eselsbrücke: Wiedererkennungswert).
Unterhalb der Skulptur ist eine Inschrift angebracht, von Wind und Wetter in Mitleidenschaft gezogen, lässt sich doch noch entschlüsseln:
„Bei der zweiten Belagerung Wiens
durch die Türken im Jahre 1683
stand an dieser Stelle das Zelt
Kara Mustaphas.“
Dieser Mythos hielt sich über drei Jahrhundertwenden, mittlerweile weiß man, dass sich das Zelt des Großwesirs auf der Schmelz, und damit im heutigen 15. Bezirk, befunden hat. Der Platz im 7. Bezirk hätte für die ausladende Zeltburg nicht ausreichend Platz geboten und wäre strategisch unklug gewesen, da sich das Gebiet innerhalb der Reichweite der Wiener Verteidigungsgeschütze befand (3. Eselsbrücke: steht zwar auf dem Schild, kann aber nicht sein).
Österreichisch-türkische Beziehungen
Nichtsdestoweniger spielte der kleine Fleck am Neubau eine ganz besondere Rolle in Sachen Völkerverständigung: Im Jahr 1933, dem 250. Jubiläumsjahr der Belagerung und Befreiung Wiens sollte das Reiterstandbild restauriert werden. Die Schrift war verblasst, die Marmortafel und das Denkmal selbst hatten ihren Glanz verloren und waren schmutzig vom über Jahrzehnte abrinnenden Regen und so wandte sich das Denkmalamt mit Bitte um finanzielle Unterstützung an die türkische Gesandtschaft in Wien, die die nötigen Mittel zur Verfügung stellte. Die Vorgehensweise zeigte deutlich, dass sich die vormals feindlichen Beziehungen in freundschaftliche verwandelt hatten.
Trostpflaster für den Geschichtsunterricht am Neubau
In puncto Türkenbelagerung kommt der 7. Bezirk noch zu seiner Bedeutung, denn selbst wenn sich das Zeltlager Kara Mustaphas nicht hier befunden hat, soll es doch im Garten des Palais Trautson, seit 1966 Sitz des Bundesministeriums für Justiz, eine Schanze der osmanischen Truppen gegeben haben, befehligt vom Großwesir selbst. Dem Diarium, das eigenhändig vom kaiserlichen Residenten Georg Christoph von Kunitz verfasst und 1684 gedruckt wurde, ist zu entnehmen, dass Kara Mustapha mehrmals den Kirchturm von Sankt Ulrich bestiegen hat, um sich einen Überblick über das Kampfgeschehen zu verschaffen.
Und wer meint, dass ihm vor lauter Information schon die Ohren läuten, darf sich entspannt zurücklehnen: Es ist nur die Pausenglocke, die ankündigt, dass der Geschichtsunterricht für heute zu Ende ist. Brav durchgehalten. Einser. Danke, setzen. Am besten auf eines der Bankerl zwischen türkischem Reiter und Augustinbrunnen.
Fotos: Veronika Fischer