Nikola Senjic und Blazenko Jurkovic haben sich 2020 den Traum vom eigenen Lokal erfüllt. Der Start ins Abenteuer war aber alles andere als traumhaft. Mit eisernem Durchhaltevermögen, einem starken Supportnetz und dem Mut, Neues auszuprobieren, haben die erfahrenen Gastronomen Das Vivet auf Kurs gebracht. Jetzt kann man in der Westbahnstraße 21 ein Langschläferfrühstück schlemmen, mit dem Vivet-Signature-Cocktail anstoßen oder trotz – oder gerade mit – Zöliakie glutenfreie Küche mit ganz viel Liebe genießen.
Ich treffe die beiden Unternehmer vor ihrem Lokal in der Westbahnstraße 21. Der gemütliche Schanigarten mit den Petunien-Blumenkästen leuchtet mir schon von weitem einladend entgegen. Vor wenigen Tagen hat die Stadt Wien in den Medien verkündet, auch im kommenden Winter wieder Schanigärten zu genehmigen, was Nikola und Blazenko freut. Einen Schanigarten haben zu können, war schon bei der Locationsuche für das Lokal ein Knock-out-Kriterium. „Nur deshalb hat die Bank zugestimmt“, erzählt Nikola.
Das Vivet bedeutet so viel wie „es wird leben“
Der Weg zum eigenen Gastrobetrieb war für Nikola und Blazenko keine gemütliche Gondelfahrt. Sie lernen einander in der Gastronomie kennen – der eine Restaurantleiter, der andere Barchef. Irgendwann ist der Wille, etwas Eigenes zu eröffnen, bei Nikola so stark, dass er seinen Job kündigt. Doch mit dem eigenen Lokal will es nicht klappen. Nikola steigt also bei einem Lebensmittelgroßunternehmen in die Regionalleitung ein. In Retrospektive sind es wertvolle Jahre, in denen er Kontakte knüpft und Erfahrung sammelt. Blazenko arbeitet weiter in der Gastronomie und zahlt sinnbildlich auf das Erfahrungskonto ein, von dem Das Vivet heute profitiert.
Das Ticket zum Neuanfang
2019 schenkt Nikola Blazenko ein Ticket zur Bar Convent, einer Fachmesse für Bar- und Getränkeindustrie in Berlin. Dort flammt die Idee vom Lokal in Nikola wieder auf. Kurz darauf entdeckt Nikolas Frau das Lokal in der Westbahnstraße 21. „Eigentlich hat es zweimal alleine nicht geklappt, aber ich versuche es ein drittes Mal und werde ihn [Anm.: Blazenko] fragen, ob er Lust hat, das mit mir zu machen“, erinnert sich Nikola zurück. Woran es bei den ersten Anläufen gescheitert ist, will ich wissen. „Meistens an den letzten behördlichen Schritten. Zum Beispiel sagt eine Behörde, dass wir doch keinen Schanigarten bewilligt bekommen, dann springt aber die Bank ab – ohne Schanigarten keine Förderung. Es ging immer um die Förderung.“
Mit Planung zum Erfolg
Schlussendlich schaffen sie es. Sie übernehmen das Lokal in der Westbahnstraße 21, das perfekt zum Konzept und Businessplan passt, den die beiden in den Folgemonaten akribisch erarbeiten. Sie bekommen einen Schanigarten, sie bekommen eine Förderung, sie renovieren das Lokal – das meiste in Eigenregie mit der Unterstützung von Freund:innen und Familie – eine:n Innenarchitekt:in engagieren sie nicht, weil ihre Ideen schon ganz klar geformt sind … und dann kommt Corona.
Der erste Lockdown zieht ihnen den Boden unter den Füßen weg. Sie hängen mit ihrem gesamten Ersparten in dem Lokal, das sie nicht aufmachen können. Die Strukturen für einen Lieferservice haben sie zu dem Zeitpunkt nicht – und selbst wenn … keiner kennt die neue Coffee-Eatery-Bar.
Statt im April 2020 servieren sie ihr erstes Frühstück im Juni 2020.
Endlich!
Grätzlfeeling, Gänsehaut und Gastfreundschaft
Gekocht wird vorwiegend mit saisonalen und regionalen Produkten. Dementsprechend wird die Karte auch etwa viermal im Jahr der Saison angepasst. Das Fleisch kommt ausschließlich aus Österreich. Für die Burger Buns hat sich Das Vivet einen Bäcker ausgesucht. Die glutenfreien Produkte wie eine eigene Mehlmischung und glutenfreie Brötchen kommen ebenfalls von einem ausgesuchten Hersteller. Obst und Gemüse bezieht Das Vivet bei einem kleinen Händler. „Wir schauen vor allem auf Low-waste, deshalb bestellen wir auch jeden Tag Obst und Gemüse.“ Wenn dann doch einmal mehr Gäste kommen und sich die Kalkulation um eine Gurke oder ein paar Karotten nicht ausgeht, sind die Vivet-Guys kreativ: „Dann laufen wir zu unseren Nachbarn und fragen sie, ob sie uns aushelfen können – zu Berlin Döner oder I Terroni … Da gibt es ein paar“, lacht Blazenko, „die kennen wir alle.“ Und Nikola fügt hinzu: „Das ist ein Grätzl, wo man sich gegenseitig hilft. Das ist nicht Konkurrenz. Als wir hergekommen sind, haben die anderen gesagt: ‚Super, jetzt verbindet sich alles – Schottenfeldgasse, Zieglergasse … endlich schließt sich die Lücke und jeder profitiert von jedem.“ Hilfsbereitschaft und Gastfreundschaft beruhen auf Gegenseitigkeit. Vivet-Besprechungen werden bei Wolfgang Coffee oder anderen Nachbarn abgehalten, es ist ein Geben und Nehmen.
„Zieglergasse, Schottenfeldgasse … dieses Grätzl wird leicht zu Klein-Berlin. Das haben wir schon gehört, bevor wir das Lokal übernommen haben. Und in unserem kleinen Berlin hier im Viertel gab es einfach noch nicht so ein Frühstücksangebot, wie das, womit wir unsere Gäste begrüßen“, freut sich Nikola über den Zuspruch, den Das Vivet seit der Eröffnung bekommt. „Wir wollten eine Wohnzimmeratmosphäre schaffen. Uns ist es wichtig, dass sich hier alle wohlfühlen, egal ob man Allergiker:in ist, egal zu welcher Uhrzeit man kommt – hier soll man sich wie zu Hause fühlen.“
Genuss im Vivet
Im Vivet wird fast alles hausgemacht – das Rezept für den Cheesecake ist von Nikolas Bruder, die Pancakes-Rezeptur stammt von seiner Schwägerin, seine Frau hat ein Kuchenrezept beigesteuert. Denn „die Qualität muss einfach stimmen.“
Hier isst man auf Wunsch bzw. bei Bedarf auch glutenfrei. Tagliatelle, Granola, Pancakes, Burger, Gebäck – auch mit Zöliakiediagnose darf man im Vivet hemmungslos schlemmen.
Der Fürsprecher für das All-day-breakfast ist Blazenko. Die Begeisterung dafür entflammte in Berlin in ihm: „Egal wie spät es ist, irgendwo auf der Welt ist es Früh, deshalb gefiel mir der Gedanke, ein Lokal zu eröffnen, um jederzeit Frühstücken zu können.“
In Wien in ein gemütliches Lokal mit Wohnzimmerflair zu gehen, wo man sich auch mal zum Frühstück verabreden kann oder – fast noch lustiger – der eine Frühstück (bis 16 Uhr), die andere Mittagessen und der nächste Cocktailhour machen kann, ist dank dem Vivet kein Wunschtraum mehr.
Ab 11:30 Uhr entfalten sich die Geschmacksknospen dann bei raffiniert zusammengestellten Tapas und Burgern für jeden Geschmack – with or without (Gluten, Laktose, Fleisch – alles geht, nichts muss, denn im Vivet geht man auf Wünsche und Bedürfnisse ein). Zum Vorabschwelgen: Die Vivet-à-la-Carte-Menükarte. Abends werden dazu besonders gerne Aperitivos, Cocktails nach eigenen Rezepten von Barchef Blazenko und ausgesuchte Spirituosen bestellt, nicht zuletzt, weil die verwendeten Sirupe, Popsicles und viele der Rezepte hausgemachte Vivet-Kreationen sind.
Was machen Nikola und Blazenko anders?
„Banale Dinge“, sagt Blazenko, „wir sind auf Social Media aktiv, wir haben einen eigenen Style.“ Als Das Vivet noch ganz neu war, stand Nikolas Frau oft vor der Tür. „Sie hat alle gegrüßt“, erzählt Nikola ganz selbstverständlich, „Nicht: ‚Kommt’s rein.‘, sondern einfach: ‚Hey, wir sind die Neuen.‘“ Und so wurden „die Neuen“ in der Westbahnstraße 21 schnell aufgenommen.
Wenn sie Food-Fotoshootings machen, Tagesteller übrigbleiben oder Lebensmittel nah am Ende des Haltbarkeitsdatums sind, spenden sie das übrig gebliebene Essen bzw. die Lebensmittel an die Gruft. Kleinere Mengen (zwei bis drei Überraschungssackerl) wandern auf die Lebensmittelrettungs-App Too Good To Go. Auch so haben schon Stammgäste zu ihnen gefunden.
Big C und andere Hindernisse
Nachdem Das Vivet damals – im Juni 2020 – mit einigen Wochen Corona-bedingter Verzögerung öffnen kann, dauert es nicht ganz ein Jahr, bis Nikola und Blazenko den gesundheitsbedingten Ausfall ihres fantastischen Chefkochs verkraften müssen. Von einem Tag auf den anderen müssen sie Ersatz finden und in genau dieser heiklen Phase kommt das Team eines viel gelesenen Foodblogs inkognito zum Frühstück. Alles läuft schief. Die Kritik ist niederschmetternd für die beiden. So gerne hätten sie die verhängnisvolle Verkettung der Umstände erklärt und die Foodies zu einem Zeitpunkt willkommen geheißen, in dem sich der Wind gelegt hat und das Schiff wieder ruhig segelt. Aber es sollte wohl anders sein.
An der Kippe
Wann immer sie offen haben, arbeiten sie mit Herzblut. Stehen immer selbst im Vivet. Doch das Lockdown-bedingte Auf-zu-Gezerre setzt dem jungen Unternehmen sehr zu. „Wir waren kurz vor der Kippe und haben uns gefragt, ob wir es schaffen können.“ Kurz zweifeln sie, doch dann kommen Freunde und Familie, die sie aufbauen: „Hey, euer Traum ist noch nicht vorbei. Wir unterstützen euch.“ Ihr Bankberater motiviert sie: „Jungs, ihr macht es so gut. Was ihr in drei Monaten an Umsätzen gemacht habt … wir stützen euch.“
Im Jänner 2021 beschließen sie, sich breiter aufzustellen und auch To-go-Speisen und Lieferservice anzubieten. Dafür müssen sie die Karte umstellen, denn nicht alles, was es bei regulärer Öffnung gibt, ist zustelltauglich. Sie fahren mit ihren privaten Autos durch den Bezirk. Sie hängen mit jeder Faser im Vivet. Das spürt man!
Newcomer des Jahres bei lieferando.at
Und das spürt auch ihre wachsende Fangemeinde, die Das Vivet zum Newcomer des Jahres 2021 auf lieferando.at votet! Dies hat das Lokal vor allem ihrem neuen Chefkoch Ragib Borogovac zu verdanken. Er hilft ihnen durch die schwierige Zeit während der Pandemie. Zu dieser Zeit hat das junge Team sehr stark mit Personalmangel zu kämpfen. Der neue Chefkoch erweist sich in der Krise als loyal und stärkt Nikola und Blazenko immer den Rücken. Doch nicht nur Loyalität und Stärkung bringt der neue Chefkoch mit, seine überaus kreativen Rezepte verfeinerten schlussendlich die Speisekarte.
Als sie wieder aufsperren dürfen, kommt einmal ein Gast nach dem Essen an die Bar und fragt Nikola und Blazenko: „Seid ihr die zwei Chefs?“ „Ja“, antworten sie verlegen, „wie können wir Ihnen helfen?“ „Gar nicht“, sagt er freundlich und stellt sich ihnen als der General Manager ihrer kreditgebenden Bank vor. Er habe sich ihre Unternehmenszahlen angesehen und da ihn die so beeindruckten, wollte er sich selbst vom Flair und der Qualität des Vivet überzeugen. „Ihr macht das super. Weiter so.“ „Wenn das passiert, dann hast du was erreicht“, gibt sich Blazenko erfolgsbewusst.
Was die Zukunft bringt
Mittlerweile stehen der neue und der nach seiner gesundheitlichen Rehabilitation wieder eingestiegene Chefkoch Seite an Seite – oder abwechselnd – in der Küche und sind das Kitchen-Dream-Team des Vivet.
Es rennt gut und der Wunsch „es wird leben“, der schon im Namen des Vivet steckt, hat sich schon zu einem Gutteil erfüllt. Das Vivet ist das Wohnzimmer außerhalb der eigenen vier Wände, in das Stammkund:innen, Künstler:innen, Politiker:innen und Sportler:innen kommen, aber auch die Nachbarschaft mag den Schanigarten, den gemütlichen Barbereich, die hölzernen Bistrotische, die cozy Winkel, die sich durch die unterschiedlichen Tapetenmuster abgrenzen. Ein bisschen Kunst hier, das Leseeck da, die Qual der Wahl zwischen stylischem Holzsessel, Samtbezugstuhl oder dem Platzerl auf der Bank.
Dass sich Nikola und Blazenko auf ihren Lorbeeren ausruhen, entspricht nicht ihrer Natur. Nach wie vor ist immer mindestens einer, meist beide, persönlich vor Ort, wenn Das Vivet geöffnet hat. Sie ergänzen sich mit ihren Stärken und für beide ist klar, dass es ohne den anderen nicht ginge. Die Zukunft des Vivet liegt in ihren vier Händen. Begeisterte Teamverstärkung mit einer Leidenschaft für gute Gastro ist im Vivet-Team aber immer willkommen.
Das Vivet
Westbahnstraße 21, 1070 Wien
www.dasvivet.at
Mmmmmh! Gusto holen auf dem Instagram-Account von Das Vivet.
Titelbild: Nikola Senjic und Blazenko Jurkovic vor ihrem Lokal in der Westbahnstraße 21. Foto: © Das Vivet