Vom Bezirksvorsteher zum Greeter

Bezirksvorsteher a. D. Herbert Tamchina engagiert sich ehrenamtlich für die Vienna Greeters

Im Gespräch mit Herbert Tamchina

Nach vielen Jahren in der Personaldirektion der ÖBB, wo er sich unter anderem der unbequemen Mehrwertanalyse widmete, wurde der ehemalige Bezirksrat 1991 zum ersten SPÖ-Bezirksvorsteher des 7. Bezirks in der 2. Republik gewählt. Siebeneinhalb Jahre fegte er durch den Bezirk und sorgte für Wirbel und frischen Wind. Heute trifft man Herbert Tamchina am Neubau flanierend: Auf der Jagd nach neuen Geschichten oder als Spaziergangsleiter für die Plattform Vienna Greeters, wenn er stolz die spannendsten Fleckerl seiner Hood herzeigt – im wahrsten Sinne ehrenamtlich.

Vor einigen Jahren lernte Herbert Tamchina die Plattform Greeters kennen und schätzen. Die Organisation verbindet ehrenamtliche Privatpersonen, die gerne ihre schöne Heimat- bzw. Wohnstadt zeigen, mit Menschen, die sich für privat geführte Spaziergänge abseits der Touristentrampelpfade in einer Stadt interessieren. Während er früher vom Fernweh gepackt wurde und auf Reisen ging, um neue Länder und Orte zu erkunden, ist er heute in die andere Rolle geschlüpft und empfängt Reisende, die auf der Suche nach tollen Geschichten sind.

Was ist ein Greeter?

Die Greeter sind heißen die Gäste willkommen und nehmen sie auf einen kostenlosen Walk mit. Als Gast kann sich jeder über die Greeters-Website melden, ganz egal, ob man Tourist aus einem anderen Land ist oder für einen Tag Tourist in der eigenen Heimatstadt sein möchte. Die Greeters gibt es nicht nur in Wien (unter dem Namen Vienna Greeters), sondern in vielen anderen Städten der Welt. Hier geht es zur Internationalen-Greeters-Website.

Wesentlich ist, dass die Greeters keine geprüften Tourguides, sondern Privatpersonen mit einer Leidenschaft für ihre Stadt, die sie mit persönlichem Bezug, individuellen Erlebnissen und aus einem ganz eigenen Blickwinkel herzuzeigen wissen.

Wie treffe ich einen Vienna Greeter?

In Wien gibt es rund 140 Greeter. Anfragen für Spaziergänge gehen an den Verantwortlichen ein, der die Anfragen gebündelt einmal in der Woche aussendet. Die Vienna Greeters melden sich dann für Spaziergänge, die sich übernehmen möchten und können, und der Vienna-Greeters-Manager verknüpft im Anschluss die Gäste mit ihrem Greeter. Dabei spielt nicht nur das jeweilige Interesse, sondern auch die Sprache beider Seiten eine wichtige Rolle.

Was wird bei einem Spaziergang mit Vienna Greeters angesehen?

Das entscheiden die Gäste mit. Ein Spaziergang dauert etwa zwei Stunden. Die Gruppen sind mit maximal sechs Personen überschaubar gehalten. Der Spaziergang muss mindestens zwei Wochen im Voraus über die Vienna Greeters Website angefragt werden.

Wer selbst einen Spaziergang mit einem Greeter machen möchte, sollte das Thema bei seiner Anfrage abstecken: Der Besuch eines bestimmten Bezirks oder Grätzls, ein Schwerpunkt auf Architektur (im Jugendstil, des 21. Jahrhunderts, der Gründerzeit …), das Rote Wien der Nachkriegszeit, die Ringstraßenbauten, die Hofburg in ihren Bauetappen, Sagen, sakrale Bauten in der Innenstadt … you name it.

A perfect match – Vienna Greeters und Herbert Tamchina

Die Wien-Liebe und das Grätzlwissen sind in Herbert Tamchina vereint, wie in nur Wenigen. Der ehemalige Bezirksvorsteher (1991 bis 1998, Wiederwahl: 1996) des 7. Bezirks meldete sich vor knapp drei Jahren bei den Vienna Greeters und spaziert seither mit Gruppen durch seinen Wohnbezirk, der gleichzeitig seine frühere Wirkungsstätte als Bezirksvorsteher war. Wie kein anderer – und ich sage das mit Nachdruck – kann Herbert Tamchina über das Museumsquartier erzählen, dessen widerstandsreicher (Um-)Bau, die Eröffnung und Entwicklung zu einem Hot Spot der modernen Wien-Kultur in seine Amtszeit fielen.

Ehrenamtlich für die Vienna Greeters unterwegs: Herbert Tamchina
Immer ein Schmunzeln in den Augen – Herbert Tamchina.

Am Neubau unterwegs wie noch nie

Die Ulrichskirche (die Pfarrkirche St. Ulrich und Maria Trost), gegenüberliegend die private Volksschule Notre Dame de Sion, der Augustinplatz, der Siebensternplatz mit seinen mysteriösen Zisternen, Erinnerungen an die erste Pferdetramway, der älteste Friedhof der Vorstadt, der 1590 errichtet wurde, die Bassins und Brunnen der Albertinischen Wasserleitung am Neubau oder die Mechitaristenkirche mit der größten Sammlung armenischer Kultur Europas – 200.000 Bücher, 2.600 Handschriften, eine 20.000 Stück große Münzsammlung, Landkarten, Gemälde, armenische Teppiche, Reliefs, Rollsiegel, liturgische Geräte und mehr finden sich hier – all das sind Plätze, an die Herbert Tamchina im Rahmen des Vienna-Greeters-Spaziergangs führt bzw. darauf hinweist. (Um das Museum der Mechitaristen zu besuchen, muss ein Termin für eine Führung vereinbart werden.)

Der eingefleischte Neubauer gestaltet seine Spaziergänge mit den Gästen der Vienna Greeters nicht nur nach deren Interessenslage, sondern gräbt auch ständig nach verborgenen Wissensschätzen der lokalen Geschichte – historischen wie modernen.

V für Volkstheater

Aktuell hat er sich schlau gemacht, was mit dem rot leuchtenden Stern aus den fünf Vs passierte, den der ehemalige Volkstheater-Intendant Michael Schottenberg am Dach des Theaters montieren ließ. Von 2005 bis 2015 strahlte er sein rotes Licht mehrdeutig von der Kuppel des Volkstheaters hinab. Unter der Intendanz von Anna Badora verschwand der Stern, begleitet von manch schnippischem Zeitungskommentar*. Aber keiner von ihnen ist so unterhaltsam wie die Ausführung von Herbert Tamchina, der geschichtlich, politisch und kulturell einzuordnen, dann aber natürlich mit dem Augenzwinkern eines Unterhalters in schönstem Wienerisch wiederzugeben weiß.

Der einzige Hügel um die Innenstadt

Man kann ihm aber auch gespannt lauschen, wenn er erzählt, wieso der 7. Bezirk eines der erstbesiedelten Gebiete außerhalb der Stadtmauer war. Das im7ten-Team hat dieses Insider-Wissen auch bereits gelüftet, wie man dem neuen 7er Plan entnehmen kann, der in wenigen Wochen erscheint. Es ist der Lage geschuldet, denn die Gegend des heutigen 7. Bezirks ist die einzige Erhebung rund um die Innenstadt, weshalb die meisten militärischen Auseinandersetzungen auch von hier aus stattfanden. Zum Vergleich: Die ersten Besiedlungen des 7. Bezirks sollen um 1100 stattgefunden haben, während der angrenzende 8. Bezirk erst im 17. Jahrhundert, und da vor allem zum Ende hin, besiedelt wurde.

Sattelfest im 1. Bezirk

Herbert Tamchina spaziert mit den Gästen der Vienna Greeters zwar vorwiegend, aber nicht ausschließlich am Neubau herum; er übernimmt auch gerne Anfragen von Gruppen, die unweit des 7. Bezirks in die Geheimnisse des 1. Bezirks abtauchen wollen: Nur einen Katzensprung über die Museumsstraße und den Burgring gelegen, entfaltet sich die Hofburg mit ihren Flügeln, Höfen, Trakten und Burgen ihre reiche Geschichte, die der Wien-Passionierte spannend, lehrreich und einprägsam in herrlich nonchalanter Wiener Art zu erzählen versteht.

im7ten im Gespräch mit Herbert Tamchina

Sie kennen die Greeters auch von der anderen Seite – als Gast. Wie haben Sie selbst die Greeters erlebt, als sie einen Spaziergang in Hamburg mitgemacht haben?

Es war sehr gut! Eine Frau ging drei Stunden mit uns durch die Gegend und hat uns Orte gezeigt, zu denen man als Tourist nicht so einfach hingehen würde. Ich erlebe das auch hier: Wenn ich über den Spittelberg, Ulrichsplatz, durch das Museumsquartier und den Augustinplatz – mit der Geschichte vom lieben Augustin – gehe … dann sagen die Leute: „Da wären wir nie hergekommen.“
Man kennt das aus eigenen Urlauben: Man kommt in eine Stadt, es gibt offizielle Führungen, aber man möchte auch wohin gehen, wo man etwas wirklich Neues erfährt.

Was zeigen Sie noch?

Bei Menschen, die aus dem Ausland kommen, fange ich beim Museumsquartier an und mache [eine Runde durch] den Bezirk. Wenn ich einen Bezirksrundgang mache, fange ich am Siebensternplatz an, weil er geschichtlich eine interessante Stelle ist.

Wie haben Sie sich das Wissen angeeignet?

Über Jahre. Früher schon, als ich noch Bezirksrat war, habe ich mich [insbesondere in der Phase der Spittelberg-Revitalisierung] schon damit beschäftigt: „Wieso ist der Spittelberg überhaupt entstanden?“ Wie ist es dazu gekommen? Bis in 15. Jahrhundert ging der Wienerwald bis hierher. Wir sitzen ja jetzt auf einem Hügel. Da unten ist es hinunter [deutet in Richtung Josefstadt] ins Tal zum Ottakringer Bach gegangen und auf der anderen Seite [deutet in Richtung Mariahilf] ist es ins Tal vom Wienfluss gegangen. Hier heroben war der Hügel. Das ist natürlich geschichtlich wahnsinnig interessant, weil der Spittelberg, der Hügel auf dem wir sitzen, der einzige Hügel rundum [das alte] Wien ist.

Es ist nicht viel, aber es ist der einzige Berg und das war der Grund, warum die militärischen Auseinandersetzungen immer über dieses Gebiet gekommen sind. Es waren ja nicht nur die Türken da. Es waren die Franzosen, die Bayern, die Franken, die Langobarden, selbst die Schweden waren im Dreißigjährigen-Krieg da. Warum? Weil sie von dem Hügel nach Wien reinschießen konnten, und darum war es ein so entscheidender Punkt.

Die Plattform Vienna Greeters ist also der beste Weg, um an einen Spaziergang mit Ihnen zu kommen.

Richtig. Über Greeters kamen sogar schon Wiener zu mir. Es gab einmal eine Gruppe aus Wien, die sich alle Wiener Bezirke von Greeters zeigen ließ. Ich hatte auch eine Gruppe aus dem 22. Bezirk, die hat mich schon zweimal angefragt: Einmal, dass ich den 7. Bezirk und einen Teil des 1. Bezirks mit ihnen anschaue, und in einem halben Jahr soll ich wieder den 1. Bezirk mit ihnen machen.

 

Wer auch in den Genuss eines Spazierganges mit Herbert Tamchina kommen will, fragt am besten über die Vienna Greeters um einen Spaziergang im 7. Bezirk an. You better be quick, denn zum Beruf wird der Neubauer seine Leidenschaft nicht machen.

Greeters International

Greeters kann man übrigens auch in vielen anderen Städten der Welt finden und das Angebot nutzen. Wer gerade einen Städtetrip plant und gerne von einem Greeter herumgeführt werden möchte, besucht am besten die Internationale Website der Greeters und kontaktiert die zuständige/den zuständigen DestinationsmanagerIn.

Gut zu wissen: Der Spaziergang mit einem Greeter ist kostenlos und wird von dem Greeter auf ehrenamtlicher Basis durchgeführt. Von der Plattform selbst wird lediglich um eine Spende für die Organisation & Koordination gebeten, um den tollen Service aufrecht erhalten zu können.

 

* Weiterführende Links

Die 2. Türkenbelagerung & der Augustinplatz

im7ten: Den 7. Bezirk entdecken | Die zweite Türkenbelagerung Teil 1, veröffentlicht: 18. März 2016

im7ten: Den 7. Bezirk entdecken | Die zweite Türkenbelagerung Teil 2, veröffentlicht: 23. März 2016

im7ten: Kunstmäzenin, Unternehmerin, Künstlerin, Verfolgte – Namensgebende Frauen am Neubau, veröffentlicht: 15. Jänner 2017

Installation des roten Sterns am Volkstheater 2005

Wien.ORF.at: Roter Stern für das Volkstheater, veröffentlicht: 2. September 2005 (Stand: 6. Juni 2019)

Deinstallation des roten Sterns am Volkstheater 2015

Die Presse: Der rote Stern am Volkstheater hat ausgedient, veröffentlicht: 20. August 2015 (Stand: 6. Juni 2019)

ORF.at: Volkstheater künftig ohne roten Stern, veröffentlicht: 20. August 2015 (Stand: 6. Juni 2019)

Sonstige

Vienna Greeters

Greeters International

Die Wiener Mechitaristen Kongregation: Größte armenische Sammlung in Europa

 

 

© Fotos: Veronika Fischer

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