Herbert Tamchina – der Advokat des MQ

Der Advokat vom MQ Wien

Nach vielen Jahren in der Personaldirektion der ÖBB wurde der ehemalige Bezirksrat 1991 zum ersten SPÖ-Bezirksvorsteher des 7. Bezirks in der 2. Republik gewählt. Siebeneinhalb Jahre fegte er durch den Bezirk und sorgte für Wirbel und frischen Wind. Auch die Gestaltung des MuseumsQuartiers, wie wir es heute kennen, fiel in seine Amtszeit und brachte die Gemüter in Wallung. Die Rede ist von Herbert Tamchina, dem Geburtshelfer des MQ.

Die ehemaligen Hofstallungen – eine politische Arena

Das MuseumsQuartier gehört zum 7. Bezirk wie die Fiaker neben den Stephansdom, das Riesenrad in den Prater, der Erdäpfelsalat zum Wiener Schnitzel. Des is’ so, des g’heat so, des mocht’s east leiwand.

Doch der Umbau des MuseumsQuartiers gestaltete sich alles andere als einfach. In den 1990er-Jahren gab das geplante Projekt Anlass zu politischem Tauziehen und war den heimischen Medien nicht selten eine Schlagzeile wert.
im7ten hat mit Herbert Tamchina gesprochen, der als damals amtierender Bezirksvorsteher für den Beschluss der Flächenwidmungspläne zuständig war … und sich noch für vieles mehr einsetzte.

Frontansicht des MQ, © Foto: Alexander Eugen Koller

Im Gespräch mit Herbert Tamchina über seine Leidenschaft für das MQ

Das MQ ist mitverantwortlich für den heutigen Hip-Status der Gegend, doch wer heute erst 20, 25, 30 Jahre jung ist, die sommerlichen Temperaturen auf den Hofmöbeln Viena genießt, im Winter zum Eisstockschießen kommt und das ganze Jahr über das Kunst- und Kulturangebot des MuseumsQuartiers nutzt, kann sich vermutlich nicht mehr an das „Griss“ um das Areal erinnern, dessen Flair den 7. Bezirk heute so selbstverständlich prägt.

Die Entstehung des MQ war keine g’mahde Wies’n. Wie dürfen wir uns das vorstellen?

Ich war politisch gesehen einer der Wenigen, der vehement für das MuseumsQuartier eingetreten ist. Ich habe mich mit Gott und der Welt angelegt … auch mit dem späteren Bürgermeister Häupl und manchen Kritikern. Einmal fand eine Sitzung der Architekten Wien, Niederösterreich und Burgenland im MQ – damals noch in den Messehallen – statt, zu der ich eingeladen wurde und hab mir das angehört … da sind sie über Architekten Ortner hergezogen (schüttelt mit einem Lachen den Kopf). Hab ich mich dort zu Wort gemeldet: „Ich hör immer, ‚Die Politiker streiten immer‘, aber was ich da von den Architekten hör, ist von der Politik nicht zu überbieten.“ Es war aufregend.

Wir reden heute viel über das Warum, den inneren Antrieb … was war Ihr „Why“?

Da gibt es eine Geschichte: Ich war im PensionistInnenheim und eine Frau, die dort Bibliothekarin war, sagte zu mir: „Sagen S’, Sie engagieren sich fürs MuseumsQuartier … brauch ma des?!“ Und ich hab zu ihr gesagt: „Brauchen? Brauchen tama des überhaupt ned. Aber ich sag Ihnen was: Die Bücher, die Sie verwalten, die brauch ma a ned. Und des schöne G’wand, des sie heute anhaben, brauch ma a ned. Ein Erdäpfelsack genüge auch, dass Sie es warm haben. Das bräuchten wir alles nicht. Aber es ist wichtig fürs Leben, weil ohne alldem … ohne Kultur und ohne, dass wir der Kultur eine Chance geben, ist das Leben auch ein Schmarrn.“

Wer waren die wichtigsten Mitstreiter im Bezirk?

Erstaunlicher Weise die ÖVP-Fraktion. Anfänglich waren sich Die Grünen überhaupt nicht einig. Teilweise haben sie gesagt: „Ja, das MuseumsQuartier ist wichtig, aber auf der Platte*.“ Aber als das umgeschwenkt ist, waren sie vehement für den 7. Bezirk. Gemeinsam war es dann auch unheimlich leicht, es mit der ÖVP, den Grünen und uns [Anm. der Red.: SPÖ] durchzubringen.

* Anm. der Red.: Als „die Platte“ oder auch Donauplatte wird in Wien der ab 1996 errichtete Stadtteil im 22. Wiener Gemeindebezirk bezeichnet, der an das Areal der UNO-City anschließt. Stadtauswärts über die Reichsbrücke kommend sind die Hochhäuser „auf der Platte“ ein im 21. Jahrhundert bekannter Blickfang der transdanubischen Skyline: Ares Tower, STRABAG-Haus, DC Tower, Andromeda-Tower, Tech Gate Vienna und das Hochhaus Neue Donau – bekannt für das weiße segelförmige Dach und die silber-goldenen Blätter an der Fassade – prägen neben dem 1964 eröffneten Donauturm und dem in den 70er-Jahren erbauten Vienna International Centre (UNO-City) das Stadtbild am nördlichen Donauufer.

Sie waren der erste SPÖ-Vorsteher im Bezirk in der 2. Republik. War das MuseumsQuartier vielleicht der große gemeinsame Nenner, auf den man sich verständigen konnte, weshalb Sie von der ÖVP unterstützt wurden, der sie ja das Bezirksvorsteher-Amt abgenommen haben?

Das mag richtig sein.
Ich glaube aber nicht, dass es der gemeinsame Nenner war, sondern vielmehr eine Frage der Überzeugung: Wenn Du Dich unheimlich für etwas engagierst, reißt Du die Leute auch mit.

Das Projekt bot Stoff für politische Auseinandersetzung und wurde auch in den Medien heiß diskutiert …

Die Ausschreibung [Anm. d. Red.: für die zwischen 1998 und 2001 errichteten Neubauten] haben die Architekten Laurids und Manfred Ortner gewonnen, aber selbst die anderen Architekten haben gegen die Entscheidung der Jury angekämpft: „… des is postmodern …“
Der damalige Bürgermeister Helmut Zilk war zwar für das MQ selbst, hat sich aber wiederum am Leseturm gestoßen. Als Symbol für das ganze Areal hätte ein 67 Meter hoher Turm gebaut werden sollen. Helmut Zilk hat sich darüber aufgeregt, sodass ich zu ihm gesagt habe: „Da gibt es eine gute Möglichkeit: Wir machen den Turm ausziehbar. Immer wenn Du vorbeifährst, ziehen wir ihn ein und wenn Du vorbei bist, dann lassen wir ihn wieder raus.“ Er konnte mit diesem Scherz gut umgehen.

Der Turm wurde schlussendlich nicht errichtet, da kein Gebäude höher als die originale Fassade des Fischer-von-Erlach-Baus sein sollte. Neben politisch eisigem Gegenwind, wurde medial teils heftig dagegen Stimmung gemacht und es gab Bürgerinitiativen gegen das MuseumsQuartier.

Man muss sich einmal vorstellen: Zuerst war die Kronen Zeitung dafür, täglich Alles** war dagegen. Fragen S’ mich nicht warum, aber auf einmal war’s genau umgekehrt. Die Kronen Zeitung war dagegen und täglich Alles war dafür. Aber auch viele Politiker und Kunstschaffende waren gegen die Errichtung des MuQua.

** Anm. d. Red.: täglich Alles war eine österreichische Boulevardzeitung. Herausgegeben von April 1992 bis August 2000.

LESETIPP: Waldner, Wolfgang (2001): Kulturpolitik im Spannungsfeld von staatlicher Hegemonie und bürgerlicher Freiheit Das Beispiel MuseumsQuartier Wien. In: Österreichisches Jahrbuch für Politik 2001, online abrufbar: Bildungsraum Politische Akademie (Stand: 27.01.2020)

Luftaufnahme des MuseumsQuartiers, © Foto: Peter Korrak

Die Architektenausschreibung war entschieden, nun kamen Sie als Bezirksvorsteher ins Spiel.

Der Bezirk muss den Flächenwidmungsplan beschließen und als der Zeitpunkt dafür gekommen war, waren dann ÖVP, die Grünen und wir von der SPÖ so weit, dass wir es gemeinsam durchbringen konnten.

Sie haben aber nicht nur bei Ihren politischen Mitstreitern für das MQ an sich eingesetzt, sondern auch das Meiste für Ihren Bezirk aus dem Projekt herausgeholt.

(schmunzelt) Ich habe sehr gut mit der Errichtungsgesellschaft zusammengearbeitet und hatte unter anderem den Wunsch, eine Öffnung des MuseumsQuartiers vom 7. Bezirk aus zu machen. Denn bis dahin gab es nur den Eingang von der Mariahilfer Straße und der Burggasse. In der Breite Gasse war hier eine Mauer, ein Riegel! Ich habe darauf bestanden, dass ein Zugang von der Breite Gasse gemacht wird, sodass man vom Siebenten aus über Stiegen ins MuseumsQuartier kommt.
Die Errichtungsgesellschaft hat einen provisorischen Holzsteg gemacht, den wir mit Bier und Würsten eröffnet haben. Als ich etwas vor Beginn der Eröffnungsfeier hinkam, standen dort 20, 25 Leute mit Transparenten und schimpften. „Na da wird’s Dir heute gut gehen“, hab ich mir gedacht, aber als Zeit für die Eröffnung war, kamen zirka 200 Leute vom Spittelberg. Auf einmal konnte man die Bürgerinitiative nicht mehr sehen. Die waren fort. Es war dann ein riesen Festl.

Ein großer Durchbruch: Ein Zugang zur Rückseite des MuseumsQuartiers aus dem 7. Bezirk. Anfangs gelangte man über einen provisorischen Steg von der Breite Gasse ins MQ. Heute ist der Zugang über Stiegen und einen Lift möglich.

Ein anderes Mal habe ich eine Bürgerversammlung im Amtshaus gemacht. In den Saal passen 180 bis 190 Personen hinein, alle Seitengänge und –türen haben wir aufgemacht. Nach Schätzungen waren über 300 Leute dort – AnrainerInnen, eine Vertretung des Bundesdenkmalamtes, JournalistInnen von Zeitungen und Fernsehen usw. Aber im ersten Moment weiß man nicht, ob die 300 kommen, weil sie dagegen sind oder dafür. Wissen S’ wie’s Ihnen da geht? (lacht) Wenn Sie der sind, der das dort verteidigen muss. Aber wie das oft im Leben ist, hast Du Glück und die Mehrheit war dafür. Aber für so ein Projekt zu sein, ist nicht so einfach, wie dagegen zu sein. Dagegen ist man schnell.

Warum waren Sie so dafür?

Weil ich zutiefst der Meinung bin, dass man Kultur braucht. Zeitgenössischer Kunst und Kultur muss man eine Chance geben. Das ganze Leben, auch die Politik, besteht aus Kultur. Man darf das nicht vergessen! Überall im täglichen Leben begegnet uns irgendwo Kultur. Es ist ganz wichtig, dass Politik auch mit Kultur verbunden ist.
Ich bin auch vom Projekt überzeugt gewesen. Was nutzt es, ein Museum wie das Leopold Museum oder das Mumok auf die Platte zu geben? Das hat in dem Bereich, wo Museen sind, zu sein! Das Kunsthistorische Museum und das Naturhistorische Museum stehen einander ja gegenüber und es war der Plan der Brüder Ortner, dass das Leopold Museum und das Ludwig Museum vis-à-vis stehen. Es geht nicht nur drum, dass die Menschen ins Museum gehen. Es gibt 60 kulturelle Einrichtungen im MuseumsQuartier.

Unter anderem das ZOOM Kindermuseum, für das Sie sich besonders eingesetzt haben. Wie das?

Ich war vom Konzept von Claudia Haas total überzeugt und auch der Platz war der ideale! Heute ist ja nicht nur das Kindermuseum dort, sondern auch der Dschungel. Probieren S’ mal mit einem Kind am Samstag oder Sonntag einen Platz dort zu bekommen!

Die Plätze sind gefragt!

Das gibt mir ja Recht!

2019 feierte das ZOOM Kindermuseum 25-jähriges Jubiläum …

Das Konzept war sowas von schlüssig. Sie [Claudia Haas] hatte aber nicht die Sprachmöglichkeiten, die ich als Bezirksvorsteher hatte. Aber die Errichtungsgesellschaft brauchte Hilfe von mir bei der Flächenwidmung, Bauverhandlung und bei allem Möglichen. Als Umkehr habe ich gesagt, wir brauchen eine Öffnung bzw. einen direkten Durchgang vom 7. Bezirk, es muss ein Kindermuseum kommen und es muss ein Kindergarten ins MQ hinein!

Na, des war erst ein Kampf!

Der Advokat vom MQ Wien
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Da war im Fernsehen ein Streitgespräch mit dem ehemaligen Direktor des Naturhistorischen Museums, weil er in dem Bereich, wo jetzt der Kindergarten ist, seine MitarbeiterInnenbüros hatte. Es waren auch eine Terrasse und ein Garten dabei … Kennen Sie das Glacis-Beisl? Das hat einen wunderschönen Garten und anschließend an diesen Garten hat der Kindergarten seinen Garten.
Jedenfalls wollte er [Bernd Lötsch, 1994 – 2009 Generaldirektor des NHM] seine Büros ausbauen und ich hab ihn [stattdessen] rausgedrängt.

Sie hätten auch abwarten und manches seine Wege nehmen lassen können, aber Sie haben sich aktiv in eine Sache eingebracht, die größer war als Bezirkspolitik.

Das war wesentlich!
Ja, es waren nicht alle begeistert, und wenn Du die Kronen Zeitung hast, die gegen Dich Stimmung macht, dann ist das nicht angenehm. Aber mir ist das eigentlich wurscht gewesen. Ich hatte nichts zu verlieren.

Lokalkolorit vom Feinsten

Übrigens: Auf die Barrikaden muss Herbert Tamchina heute nicht mehr steigen, man begegnet ihm aber immer in seinem Heimatbezirk, insbesondere wenn er für die Vienna Greeters unterwegs ist und BesucherInnen ehrenamtlich durch den Bezirk führt.

Mehr dazu gibt es im Blogbeitrag Vom Bezirksvorsteher zum Greeter.


Coming soon – MQ Libelle

Im Frühjahr 2020 steht die langersehnte Eröffnung der Kulturterrasse MQ Libelle an. Bei freiem Eintritt kann vom Dach des Leopold Museums aus der Blick über die Wiener Innenstadt und bis zu den Wiener Hausbergen (Kahlenberg, Bisamberg, Leopoldsberg) genossen werden. Das Erscheinungsbild des öffentlichen Teils der Terrasse nach den Plänen von Laurids und Manfred Ortner wird von den Beleuchtungskörpern von Künstlerin Brigitte Kowanz geprägt. Für den Entwurf der Glaswand zeichnet Eva Schlegel verantwortlich.
Zusätzlich dazu gibt es einen Teil, der für private Veranstaltungen und geschlossene Events gebucht werden kann, denn mit der MQ Libelle wird ein neuer Raum für Kunst- und Kulturprojekte geschaffen, der für Konferenzen, Galadinner, Hochzeitsfeiern oder Cocktailempfänge über den Dächern Wiens genutzt werden kann.

Infos zum Projekt

Bauherr: MuseumsQuartier E+B GesmbH, Direktor Dr. Christian Strasser, MBA
Architektur: Ortner & Ortner BAUKUNST
Kunstinstallationen: Brigitte Kowanz (Lichtringe), Eva Schlegel (Fassade o.T. verschleiert)

Mehr Infos und Renderings gibt es auf der Website des MuseumsQuartiers.


Leseempfehlung

Waldner, Wolfgang (2001): Kulturpolitik im Spannungsfeld von staatlicher Hegemonie und bürgerlicher Freiheit Das Beispiel MuseumsQuartier Wien. In: Österreichisches Jahrbuch für Politik 2001, online abrufbar: Bildungsraum Politische Akademie (Stand: 27.01.2020)

 

© Fotos:
Titelbild von Herbert Tamchina: © Veronika Fischer
Frontansicht des MQ: © Alexander Eugen Koller
Luftaufnahme des MuseumsQuartiers, © Foto: Peter Korrak

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