Wir schauen uns heute die Hausnummern Neubaugasse 36 bis 40 ganz genau an!
Liebe Fans des 7. Bezirks!
Unsere Redaktion hat wieder eine Leser-Frage erreicht – wir freuen uns immer sehr darüber –, die uns tief in die Bezirksgeschichte eintauchen lässt.
Leserfrage
Die Frage lautet: „Beim Haus Neubaugasse 38 existieren Reste einer Toranlage, die einmal sehr schön gewesen sein dürfte: eine Jugendstil-Lampe sowie daneben eine Verzierung mit dem Wort „Anno“. Der Rest wurde offenbar weggeschnitten. Gibt es ev. Fotos, wie das einmal ausgesehen hat?
Und als Zusatzfrage: Bei Neubaugasse 40 steht über der Tür „Fabrikseingang“. Welche Fabrik war denn hier? Ich habe nichts gefunden.
Spurensuche
Nun, mit folgendem Informationsschatz bin ich wieder aufgetaucht.
Wir sprechen heute im Grunde von drei Hausnummern: Den heutigen Hausnummern 36, 38 und 40 bzw. 40a in der Neubaugasse. Ich erzähle chronologisch:
Im Jahr 1550/1551 standen hier drei Häuser, die während der 2. Türkenbelagerung abbrannten.
Tipp: Mehr Infos zur 2. Türkenbelagerung im 7. Bezirk finden Geschichtsinteressierte in den Blogbeiträgen Den 7. Bezirk entdecken | Die 2. Türkenbelagerung Teil 1 und Teil 2.
Die sogenannten Brandstätten in der Vorstadt, die erst zweihundert Jahre später nach Wien eingemeindet wurde, wurden von Paul Fürst Esterházy gekauft und er veranlasste den Bau des Esterházypalais. Das wohl imposante Gebäude muss sich auf den Nummern 36-38 befunden haben. Als Architekt wird der Bau- und Maurermeister Francesco Martinelli geführt, der unter anderem an der Ausbesserung der Servitenkirche und der Aufstockung des Servitenklosters arbeitete. Darauf folgten Aufträge des Paul I. Fürst Esterházy, für den er das Sommerpalais an besagter Adresse entwarf und danach den Bau des Stadtpalais durchführte, das wir heute als Esterházypalais in der Wallnergasse 4, 1010 Wien, kennen.
In den darauffolgenden Jahren gestaltete Francesco Martinelli das Schwarzenberpalais am Neuen Markt für Ferdinand Fürst Schwarzenberg und dessen Sohn Adam Franz um und arbeitete in den ersten Jahren des 18. Jahrhunderts am Neubau der Peterskirche mit.
Zurück zum Sommerpalais in der Neubaugasse: Den Plänen Martinellis entsprechend wurde der Bau in den Jahren 1685 bis 1687 vom Neubauer Maurermeister David Brunner errichtet. Kleines Detail am Rande: Im Jahr der Fertigstellung des Sommerpalais wurde Paul Esterházy von Kaiser Leopold I. in den Fürstenstand erhoben. Der vormalige Graf hatte sich an der Rückeroberung Ungarns beteiligt und wurde zum Dank erst „ad personam“ mit dem Titel bedacht. Später durfte dann auch der älteste Sohn den Fürstentitel führen.
Wenn der kolportierte Errichtungspreis des Sommerpalais von 20.000 Gulden den Tatsachen entspricht, war der Verkauf der Liegenschaft im Jahr 1754 um 4.500 Gulden ein Verlustgeschäft für die Fürstenfamilie. Leopold Winkelmaier (oder Paul Winkelmayer – die Quellen widersprechen sich), seines Zeichens Bierwirt am Spittelberg, ließ das Gebäude nach dem Kauf abreißen und zwei Neubauten errichten, die unter dem Beinamen „Zur ungarischen Krone“ erwähnt werden.
„Das ursprüngliche Hausschild ‚Zur ungarischen Krone‘ wird im späten 19. Jahrhundert nicht mehr erwähnt. 1846 war im Gebäude die k. k. Polizeidirektion für die Vorstädte Neubau, Schottenfeld, St. Ulrich und Spittelberg untergebracht.“
Quelle: Wien Geschichte Wiki (Stand: 22.1.2019)
Im Buch „Wiens 7. Bezirk. Neubau in alten Fotografien.“* (Ueberreuter: 2007) finde ich auf S. 10/11 einen weiteren Hinweis: Zwei Fotos, datiert 1901 und 1905, zeigen einen zweistöckigen Arkadenhof in der Neubaugasse 36 mit dem Vermerk „Ehemaliges Kloster“.
*Über dieses schöne Buch zum Blättern haben wir in diesem Blogbeitrag erzählt.
Das passt auch zu den Informationen, die dem Cataster aus dem Jahr 1875 zu entnehmen sind: Zwei Stockwerke in der Neubaugasse 36:
„Nummer 36, identisch mit Mondscheingasse 20, Conscriptions-Nummer 213, Zins: 9243, Stockwerke: 2, Wohnungen: 13, Grundfläche verbaut: 495, Grundfläche unverbaut: 161, Eigentümer: Obermüller Adolf
Nummer 38, Conscriptions-Nummer 214, Zins: 9243, Stockwerke: 1, Wohnungen: 1, Grundfläche verbaut: 131, Grundfläche unverbaut: 88, Eigentümer: Eckel Josef
Nummer 40, Conscriptions-Nummer 215, Zins: 6957, Stockwerke: 1, Wohnungen: 8, Grundfläche verbaut: 225, Grundfläche unverbaut: 84, Eigentümer: Hoffelner Johann“
Quelle: Schlessinger, Joseph (Hrsg): Der Cataster. Handbuch für Ämter, Architekten, Baumeister, Capitalisten, Hausbesitzer etc., etc. über sämmtliche Häuser der k. k. Reichshaupt- und Residenzstadt Wien. Wien. 1875. S. 208. Online abrufbar: Digital Wienbibliothek (Stand: 22.1.2019)
1911, drei Jahre vor Ausbruch des 1. Weltkrieges, wurden die Bauten abgerissen und an der heutigen Neubauer Adresse Neubaugasse 36-38 entstand der erste Beton-Skelettbau Wiens, in dessen Innerem sich ein Theatersaal befindet, der anfangs vom Arbeiterkulturverein Freie Volksbühne und später von der Löwingerbühne, dem Renaissancetheater und dem Theater der Jugend bespielt wurde bzw. wird.
Wir springen ins Jahr 1929, in dem J. Wolfgang Salzberg den Häuser-Kataster der Bundeshauptstadt Wien herausgibt:
„Nummer 36, Eckhaus, 2.719 m², Bruttozins 1914 in Kronen: 235.803, Stockwerke: 4, Geschäftslokale: 28, Wohnungen: 38, erbaut im Jahre: 1911, erworben im Jahre: 1925, Eigentümer: „Tectum“ A. G. (Zürich)
Nummer 38, Mittelhaus, 790 m², Bruttozins 1914 in Kronen: 35.550, Stockwerke: 4, Geschäftslokale: 9, Wohnungen: 5, erbaut im Jahre: -*, erworben im Jahre: 1918, Eigentümer: Moritz Meißner
Nummer 40, Mittelhaus, 1.111 m², Bruttozins 1914 in Kronen: 66.900, Stockwerke: 4, Geschäftslokale: 10, Wohnungen: 12, erbaut im Jahre: 1910, erworben im Jahre: 1928, Eigentümer: Dr. Ignaz u. Gabriella Friedmann“
Quelle: Salzberg, J. Wolfgang (Hrsg.): Häuser-Kataster der Bundeshauptstadt Wien. III. Band: V., VI. und VII. Bezirk. Verlag von Moritz Perles: Wien. 1929. S. 140. Online abrufbar: Digital Wienbibliothek (Stand: 22.1.2019)
* Das im Häuser-Kataster fehlende Erbauungsjahr der Neubaugasse 38 – nach dem auch unser im7ten-Leser gefragt hat – finde ich im Architektenlexikon: 1912 – 1913 erbaute Eugen Felgel das Haus mit den Verzierungen im Jugendstil.
Architekt des Hauses Neubaugasse 36 war Hans Jaksch.
Als Architekten der Neubaugasse 40 (1900) finde ich Alois Schützenzberger, allerdings wurde der Bau, der im Stil der Secession gebaut wurde, seither stark verändert. Vermutlich ist das andere Erbauungsjahr, das dem Häuser-Kataster von 1929 entnommen werden kann, auf diese Umbauten zurückzuführen.
Heute befindet sich in der Neubaugasse 38 das Renaissance Theater. Im Eckhaus, Nummer 36, mit dem schwarzen schmiedeeisenen Tor und den Jugendstil-Stuckarbeiten neben dem Portal befinden sich ebenerdig mehrere Shops. Architektonisch handelt es sich um ein Haus, was man in Satellitenbildern gut erkennen kann.
Einzig die Frage nach dem Schild „FabriksEingang“, das nur noch schlecht lesbar neben dem blauen Hausschild mit der Nummer 40a hängt, bleibt ein ungelöstes Rätsel.
Update (4.2.2019): Ein forschungsfreudiger im7ten-Leser hat sich nach der Veröffentlichung des Beitrags an der Spurensuche beteiligt und im Archiv ANNO der Österreichischen Nationalbibliothek den Hinweis auf eine Firma in der Neubaugasse 40 entdeckt: Hier befand sich einst die Deutsch-Amerikanische Nähmaschinenteile Ges. m. b. H., wie Zeitungsartikel der Jahre 1913 und 1915 belegen.
Zweifelsfrei geklärt ist die Schildzugehörigkeit damit nicht, denn neben der Tatsache, dass in den beiden Zeitungsausschnitten die Nummer 40 und nicht 40a angeführt wird (was gleichzeitig auch kein Ausschlusskriterium ist), hatten auch andere Unternehmen wie das Ing.-Büro „Prometheus“ von Ing. Arthur Hofmann & Co. hier ihren Sitz.
Antwort
Die Reste der Toranlage und das Schild mit dem Wort „Anno“ in der Neubaugasse 38 sind aller Wahrscheinlichkeit Überbleibsel der Entwürfe von Eugen Felgel, der der Architekt des 1912 – 1913 errichteten Hauses war.
Weiterführende Links
Das Esterházypalais in der Neubaugasse
Die Neubaugasse in Nummern (Informationen zu Hausnummern)
Haus „Zur ungarischen Krone“ in der Neubaugasse