Wer für wen? Wenn ich überlege, wer meine Schuhe doppelt, wer meine Nähte flickt , wo ich meine Zeitung kaufe, meine Orangen und das Olivenöl, meinen Grünen Tee, wo bringe ich meine Künstler_innen aus dem Ausland unter? Es ist der Schuster aus Usbekistan, der Schneider aus Sierra Leone, der Trafikant aus Persien, Lebensmittel vom Griechen, Inder oder Italiener, der Buchhändler aus Ex Jugoslawien, die Japanerin, die mich über verschieden Teezubereitungen unterrichtet, das nette Hotel in philippinischer Hand, in dem sich meine Gäste wohl fühlen.
SARAJEVO BRENNT
Miroslav Prstojeviæ Verleger, Herausgeber, Journalist aus Sarajevo, gelang 1993, nach 9 Monaten Krieg, mit Hilfe österreichischer Freunde, die Flucht über Italien nach Wien. Im Mai 1992 ging das Bild des Photographen Milomir Kovaèevic, ein vor Granatsplitter und herabfallenden Fassaden fliehendes Paar auf Sarajevos Hauptstraße Marsala, auf Titelblättern internationaler Zeitungen um die Welt. Dieses Paar waren Yasmina und Mirsolav Prstojeviæ.
Wien deswegen, weil seine Schwägerin hier wohnte. Seine Frau Yasmina musste vorerst in Sarajevo bleiben, die Tochter war bei den Großeltern in Belgrad. Der Sohn verließ Jugoslawien und reiste über Wien nach London, wo er Psychologie studierte. Nach einem Jahr konnte Miroslav Yasmina und seine Tochter nachkommen lassen. Yasmina, Anwältin, erledigte mit Bestimmtheit und Durchsetzungskraft die bürokratischen Hürden und fand bald Arbeit als Anwältin in einem multikulturellen Integrationsbüro.
1995 eröffnete Mirsolav die Buchhandlung und Galerie „MI“ in der Burggasse 84, ein Eldorado für Landsleute, die sogenannte 2. Generation, die sich wieder ihrer Wurzeln bewusst wird, Buchliebhaber_innen und Jugoslawienfans. Die Bücher sind zumeist in serbokroatisch, es gibt auch deutsche und englische Übersetzungen. Im vorderen Teil des Geschäfts hängen viele Bilder verschiedenster Genres von akademischen Malern aus Serbien, Kroatien, Bosnien, Mazedonien.
Als Redakteur des Verlagshauses „Oslo-boðenje“ zwischen 1982 und 1992, publizierte er seine ersten beiden Bücher „Vergessenes Sarajewo“ und „Vergessenes Mostar“. In diesen beiden Büchern werden die Städte Sarajevo und Mostar anhand von alter Ansichtskarten dargestellt. Postkarten aus der Habsburger Zeit, wunderbar handkolorierte Alltagsszenen, Bilder von Moscheen, katholischen Kirchen, Synagogen und orthodoxen Kirchen. Die Bilder zeigen die Vielfalt der Kulturen und Religion, die friedlich miteinander lebten, Geschäfte machten und ihren Glauben als Privatsache ansahen.
In seinem dritten Buch „Sarajevo brennt“, zeigt Miroslav Fotos, die er von vier verschieden Photographen aufnehmen ließ und die Zerstörung und Niedergang dieser wunderschönen Stadt in neun Monaten dokumentieren. Dieses Buch ist Dante und den 9 Kreisen gewidmet und in 9 Kapiteln, Synonym für die neun Monate Krieg die er vor Ort miterlebte, eingeteilt. Miroslav bemerkte nebenbei, dass er sich gerne bei Dante beschweren würde, weil es viel mehr als 9 Kreise der Vorhölle im Jugoslawienkrieg gab.
1993 erschien der englischsprachige „Kriegs- und Stadtführer“: „Survial Guide – Sarajewo“ (FAMA, 1993). Die Idee des ironischen Touristen Guides entstand, weil sich Prstojeviæ über die aus der ganzen Welt ankommenden Journalisten ärgerte, die sich nach ihren Kurzbesuchen als Kriegsschauplatz Spezialisten entpuppten. Es werden Verhaltensregeln auf Strassen unter Sniper Beschuss gegeben, es sind Rezepte enthalten, die auch im Krieg verwirklicht werden können und es wird gezeigt, wie man mit 3 Liter Wasser duschen und Zähneputzen kann.
Es gibt auch großartige Kunstbücher, wie z.B. CRNA von Jugoslav Vlahovic, in dem er einen wandlungsfähigen schwarzen Kater in unmöglichsten Situationen darstellt. Ebenso empfehlenswert sind KONSEKVENCE und DENKZETTEL des gleichen Künstlers.
Im Hinterzimmer sitzt Yasmina, seit sie pensioniert wurde, und hilft Miroslav bei der Organisation, Archivierung und Dokumentation seiner 14 000 Titel. Dieses Hinterzimmer, mit all seinen Büchern, Bildern, Tischen und Yasmina Arbeitsplatz ist einer der gemütlichsten und gastfreundlichsten Orte in Wien. Ich habe das interessante Gespräch mit den Beiden sehr genossen und freue mich schon auf den nächsten Besuch.
Knjizara & Gelerija Mi
Burggasse 84
A-1070 Wien.
Tel.: +43 1 524 63 99
Webtipp:
www.leksikon-yu-mitologije.net
Text und Photo
Denise Parizek 2016