40 Jahre Markttreiben in der Neubaugasse
Im Gespräch mit Josef Koppensteiner

Er ist ein Haudegen und ein Macher der ersten Stunde – Josef „Pepo“ Koppensteiner kennt die Geschichte der Neubaugasse als berühmte Wiener Einkaufsstraße wie kaum ein anderer. Mehr als die Hälfte seines Lebens ist der Unternehmer bereits eng mit der Neubaugasse verbunden und hat ihre Entwicklung maßgeblich mitgestaltet. Anlässlich des 40-jährigen Jubiläums des „Neubaugassenmarktes“ – heute besser bekannt als Flaniermarkt in der Neubaugasse – haben wir Pepo Koppensteiner um ein paar Geschichten aus dem randvoll gefüllten Nähkästchen gebeten.

Am Anfang war das Licht

Wer Anfang der Achtziger im Nachmittagsdunkeln der Vorweihnachtszeit die Mariahilfer Straße entlangspazierte und einen Blick in die Neubaugasse warf, sah … nichts. Die Einkaufsstraße, die quer durch den 7. Bezirk geht und Mariahilf und die Josefstadt verbindet, war dunkel.
Das brachte die beiden in der Neubaugasse ansässigen Unternehmer Werner Sopper [✝ 2017], damals Firma Mastnak, und Karlheinz Peter, von Karl Peter’s Söhne, dazu, einen Verein der Kaufleute mit dem Zweck zu gründen, gemeinsam eine Weihnachtsbeleuchtung für die Neubaugasse anzuschaffen. Gesagt, getan.

Unternehmer mit Pioniergeist

„Werner Sopper war durch und durch Unternehmer“, attestiert Pepo Koppensteiner, „also hat er sich gefragt, was so ein Verein noch machen kann. Der Verein war ja schon gegründet und die Unternehmer und Unternehmerinnen an Board“, und so entstand die Idee, einen Markt zu veranstalten, bei dem die Neubauer Kaufleute insbesondere, aber nicht ausschließlich, ihre Restwaren günstig verkaufen konnten. Alle zeitgleich, als Event, um möglichst viele Leute am Veranstaltungstag in die Straße zu locken. Zusätzliche Standplätze wurden an Marktfahrende vermietet. So ergab sich der bunte Mix an Neuwertigem und Gelebtem, neuen Schnäppchen und gefragten Vintage-Items – eine Mischung, die in ihrer Essenz bis heute besteht. Im Herbst 1983 ging der erste Markt in der Neubaugasse über die Bühne.

Ein Neuling in der Neubaugasse

Kurze Zeit vor dem ersten Neubaugassenmarkt hatte der junge Pepo Koppensteiner gemeinsam mit seiner Frau Karin den Secondhand-Shop Design Second Hand Etcetera in der Neubaugasse 77 von Karins Schwägerin übernommen. Die Hausnummer 77 – zwischen Neustiftgasse und Lerchenfelder Straße gelegen. Als er die Werbung „Flohmarkt in der gesamten Neubaugasse“ sah, freute sich der Jungunternehmer, in einer so aktiven Einkaufsstraße zu sein. De facto fand der allererste Markt in der Neubaugasse aber nur zwischen Mariahilfer Straße und Burggasse statt.
Bewaffnet mit einem nagelneuen Stadtplan von Freytag & Berndt marschierte Pepo Koppensteiner bei der Nachbesprechung des Marktes auf, pflanzte sich vor den doch deutlich älteren und g’standenen Unternehmer Werner Sopper und sagte, mit dem Finger auf den Stadtplan tippend: „Bei mir geht die Neubaugasse bis zur Lerchenfelder Straße.“

Josef „Pepo“ Koppensteiner mit Klemmbrett unterm Arm trotzt jedem Wetter. Foto: © Wladimir Kolokolow
Josef „Pepo“ Koppensteiner mit Klemmbrett unterm Arm trotzt jedem Wetter. Foto: © Wladimir Kolokolow

To cut a long story short: So entstand eine Bindung, die heuer vierzig wird, eine Liebe für den Markt und die Neubaugasse, die Pepo Koppensteiner treffend unter, „Das ist mein Baby!“, subsumiert. Es entstand eine Partnerschaft zwischen den Unternehmern, die die Neubaugasse als ehrenamtlich betriebenes Gemeinschaftsprojekt im Mittelpunkt hatte und bis heute hat. Herzstück der Arbeit der IG der Kaufleute am Neubau ist seit 1983 der zweimal jährlich veranstaltete Flaniermarkt. Für die Organisation der Aussteller:innen ist seit vielen Jahrzehnten Pepo Koppensteiner federführend verantwortlich.

Und so ging er auch damals – nach dem ersten Markt im Herbst 1983 – im nördlichen Teil der Neubaugasse von Geschäft zu Geschäft, gewann Befürworter:innen und realisierte das Werbeversprechen, einen Markt entlang der gesamten Neubaugasse zu veranstalten.

Von der Parkspur auf den Gehsteig

An die Anfänge erinnert sich der Unternehmer kopfschüttelnd und beinahe fassungslos: „Unsere Herausforderung damals war, dass die Neubaugasse keine Fußgängerzone war. Hier sind ja Autos und der Bus gefahren. Für den Markt haben wir die Parkspur an zwei Tagen ausgeräumt. Die Geschäfte standen in der Parkspur und wir verkauften an die Vorbeispazierenden auf die Gehsteige hinauf. Heute ist das undenkbar. Das muss man sich vorstellen“, lacht er, „wir standen mit dem Rücken zur Neubaugasse, hinten fuhr der 13A und die Autos – heute ein Ding der Unmöglichkeit.“ Passiert ist damals zum Glück nichts, dennoch war man sich des Sicherheitsrisikos bewusst.

Ob sich die Anrainer:innen über die fehlenden Parkplätze an den Markttagen beschwert haben, wollen wir wissen: „Es war tatsächlich nicht einfach. Wir haben einen Brief aufgesetzt und an alle in der Neubaugasse und bis zum nächsten Häuserblock geschickt und uns bedankt! Wir haben uns für ihr Verständnis bedankt, dass wir hier als Kaufleute etwas für uns machen können, um zu Überleben und dadurch auch die Rolle als Nahversorgung weiter zu erfüllen.“

In den Folgejahren konnte nach einigem Tauziehen eine Einigung zwischen Kaufleuten, Bezirk, Stadt Wien und den Wiener Linien gefunden werden, die die Neubaugasse an den vier Markttagen im Jahr – zwei im Frühjahr, zwei im Herbst – zur Fußgängerzone machten. Seither beleben die Besucher:innen die Flaniermeile Neubaugasse von der Mariahilfer Straße bis zur Lerchenfelder Straße.

Medienwirksam

Aufmerksam konnte die Neubaugasse immer schon auf sich machen. So erinnert sich Pepo Koppensteiner beispielsweise an eine Nacht-und-Nebel-Aktion in der Werner Sopper mit Hilfe seiner Mitstreiter ein übergroßes Banner über der Wiener Westausfahrt befestigte, um den Markt zu bewerben – ohne entsprechende Genehmigung. Dass es dort nicht lange bleiben würde, war ihm mehr als bewusst. Als die Feuerwehr anrückte, um das Werbebanner wenig zimperlich abzumontieren, hatte ein Tipp an die Presse genügt, um die Kameras in Stellung zu bringen, und die Demontage der unerlaubt angebrachten Werbung für den Flohmarkt in der Neubaugasse gelangte in Bild und Text auf die Titelseite einer Tageszeitung. Daraufhin wurde Werner Sopper zum neu amtierenden Bürgermeister Helmut Zilk ins Rathaus zitiert. Auf die Schelte des Bürgermeisters folgte die wirtschaftliche Rechtfertigung des Kaufleutevertreters und das Gespräch endete mit einem Unterstützungsangebot für die erfinderischen Unternehmer:innen in der Neubaugasse.

Immer einen Schritt voraus

Die erfolgreiche Platzierung so mancher Aktion der Neubaugassen-Kaufleute in den Medien ist dabei im Großen und Ganzen weniger einer raffinierten, planvollen Strategie zuzuschreiben. Viel häufiger war (und ist) es der Pioniergeist der aktiven Vereinsmitglieder, der in Aktionen und Initiativen mündete, die Schlagzeilen machten: Als Gegenentwurf zum eigenen Flohmarkt veranstaltete die Neubaugasse Mitte der Achtziger einen Elefantenmarkt, zu dem – medienreif und bis heute fotodokumentiert – lebendiger Elefantenbesuch in die Neubaugasse kam, der von den Besuchenden mit Karotten gefüttert wurde.

Ein Almauftrieb

Lange dienten die Kuhillustrationen von Künstler Prof. Franz Basdera als Markenzeichen der „kuhlsten Einkaufsstraße“ Wiens. „Ich bin zum Baumarkt gegangen, hab große Bretter gekauft und mit der Stichsäge ausgesägt“, schildert Pepo Koppensteiner die abenteuerliche Entstehungsgeschichte der Idee, einen „Almauftrieb“ in der Neubaugasse zu inszenieren. Bemalt von Prof. Franz Basdera und zigfach bis zur Wetterfestigkeit lackiert von Pepo Koppensteiner wurden die lebensgroßen Holzkühe auf Vintage-Klein-LKW montiert, die vom privaten Lagerraum in Richtung Neubaugasse tuckerten, wo sie vom Blitzlichtgewitter der Medien empfangen wurden. Für den „Almauftrieb in der Neubaugasse“ unter dem Motto „KUHle KUHnst“ wurde die Neubaugasse 2008 mit dem 2. Platz in der Kategorie Innovativste Idee bei den Wiener Einkaufsstraßen Awards ausgezeichnet.

Flanieren wir über die memory lane

„Es gibt eigentlich nur schöne Erinnerungen!“, schmunzelt Josef Koppensteiner. Besonders gerne erinnert er sich an eine Begegnung auf dem Markt mit einer deutschen Operngruppe, die Jahr für Jahr im Rahmen ihrer Opernreisen Station in Wien machte und sich dafür immer ein Marktwochenende aussuchte, um das Highlight in der Neubaugasse live mitzuerleben.

Mehr als die Hälfte seines Lebens begleitet ihn das Projekt „Flaniermarkt mit Flohmarkt in der Neubaugasse“ bereits und hat keinen einzigen der seither veranstalteten Märkte ausgelassen: „Selbst wenn ich krank gewesen wäre, hätten’s mich im Bett herschieben müssen. Ich werde ein bisschen sentimental, wenn ich mir alte Bilder anschaue, und ich bin glücklich, dass wir jetzt die Entwicklung in die richtige Richtung machen. Wenn wir draufbleiben, kann uns keiner etwas vormachen“, zeigt er sich von der Weiterentwicklung des Marktes, der Neubaugasse als Straße der Spezialist:innen und der Aufwertung durch das vom Kulturbezirk Neubau mitgetragenen Kulturrahmenprogramm überzeugt.

Vom Flohmarkt zum Flaniermarkt

Mit dem Umbau der Neubaugasse in eine verkehrsberuhigte Begegnungszone im Jahr 2020, die zum Verweilen einlädt, hat der Markt auch eine neue Gewichtung bekommen – der Flaniermarkt mit Flohmarkt hat mehr Platz für Handwerk und Design gemacht. „Im ersten Moment hat der Umbau einen kaufmännischen Verlust für uns bedeutet, weil wir durch die baulichen Gegebenheiten Standplätze verloren haben“, sagt Peter Herzog, Kassier der IG der Kaufleute am Neubau und Geschäftsführer von Sonnentor Neubaugasse, „doch die Stimmung hat unheimlich gewonnen, ist lockerer und wird von einem entspannt flanierenden Publikum so positiv aufgenommen, dass wir im neuen Konzept eine große Aufwertung für unser Grätzl sehen.“

Das umfangreiche Kultur- und Kinderprogramm sowie neue Aussteller:innen kombiniert mit Evergreens, auf die die Besucher:innen sich schon im Vorfeld freuen, bringen neuen Schwung und mit ihm ein noch breiteres Publikum in die Flaniermeile Neubaugasse, das immer mehr zu Stammkund:innen des Grätzls wird. „Unsere Bemühungen fruchten“, resümiert Kurt Wilhelm, Obmann der IG der Kaufleute am Neubau und Geschäftsführer von Wald & Wiese, „der Flaniermarkt ist ein einzigartiges Grätzlfest mit Kultur, Gastronomie, Vintage und Design, bei dem man an zwei aufregenden Tagen durch die Neubaugasse schlendern kann. Der konzentrierte Mix des Marktes spiegelt das abwechslungsreiche Angebot des 7. Bezirks wider.“

Das neue Sujet des Marktes mit vielen bunten Vögeln ist für Pepo Koppensteiner eine gelungene Wahl der gerade wiedergewählten Vereinsobleute und auch hier zeigt sich die wahrscheinlich wichtigste Zutat zum Erfolgsrezept der Straße der Spezialist:innen – die IG der Kaufleute am Neubau hat ihr Ohr ganz nah an den Unternehmer:innen, den Finger am Puls der Kundschaft und findet so die Balance zwischen Großstadtliebe und Grätzlflair.

Infos zum bevorstehenden Flaniermarkt gibt es immer im Beitrag Von der Flaniermeile zum Flaniermarkt Neubaugasse.

Titelfoto: Josef Koppensteiner (Marktleitung Flaniermarkt) und Markus Frömmel (Bezirksobmann Wirtschaftsbund Neubau) am Flaniermarkt, © Florian Wieser

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